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An Weihnachten sagt man sich die (unbequeme) Wahrheit

Präsident Werner Wolf und Sport-Geschäftsführer Christian Keller. (Foto: Bucco)
Präsident Werner Wolf und Sport-Geschäftsführer Christian Keller. (Foto: Bucco)

Der 1. FC Köln sieht sich nicht vor der Apokalypse, sondern an Tag eins. Doch die unbequeme Wahrheit zu Weihnachten lautet: Niemand will dafür verantwortlich sein, dass der Status Quo ein Trümmerhaufen ist. Und schon gar nicht würde jemand von seinem hohen Ross steigen und sich dafür bei Mitgliedern und Fans entschuldigen.

Ein Kommentar von Marc L. Merten

Wenn dieser Tage viele Menschen in aller Welt wieder den Weihnachtsfilm “Tatsächlich Liebe” schauen, werden sie gerührt verfolgen, wie Andrew Lincoln als Sternsinger seine beschrifteten Karten in die Höhe hält, um Keira Knightley stumm und heimlich seine Liebe zu gestehen. Auf einer dieser Karten heißt es: “Und an Weihnachten sagt man die Wahrheit…”

Das Problem mit der Liebe zum 1. FC Köln ist, dass der Club in 2023 alles dafür getan hat, um eine tiefgehende Ehekrise herbeizuführen. Und daher ist Weihnachten in diesem Jahr die Zeit, um die Wahrheit zu sagen. Denn dieses Jahr 2023 kann man einfach nicht so stehen und gehen lassen. Schauen wir uns die Wahrheit mal systematisch an:

Misswirtschaft

Beginnen wir nicht mit der aktuellen Implosion des 21. Dezember 2023, sondern blicken wir weiter zurück, und zwar auf die vielzitierten “Altlasten”. Diese Probleme aus früheren Transfers und den Spielerverträgen alter Tage sind noch immer real. Das bestreitet auch niemand. Doch Schuld daran sind in der Erzählung des FC bis heute noch immer nur Armin Veh, Horst Heldt und Alexander Wehrle. Dabei vergisst der amtierende Vorstand gerne selbst, dass er inzwischen schon seit über vier Jahren im Amt ist.

Armin Veh? Dem wurde damals von Werner Wolf noch öffentlich der Rote Teppich für eine Vertragsverlängerung ausgerollt. Horst Heldt? Er wurde vom Vorstand gegen interne Warnungen durchgesetzt. Alexander Wehrle? Er wurde noch jahrelang nach außen als Heilsbringer verkauft. Dennoch wäscht das Präsidium seine Hände in Unschuld. Jenes Präsidium, das jeden Vertrag und jeden Transfer sowie jedes Budget und alle Kosten als Teil des Gemeinsamen Ausschusses mit abgesegnet hatte.

FIFA-Sperre

Nun dann doch zurück zur Aktualität. Die Transfer-Sperre durch die FIFA, bestätigt vom CAS, ist nicht die Folge eines Kavaliersdelikts, keines peinlichen Fehlers, der jedem mal passieren kann. Diese Strafe hat es noch nie gegeben in der Bundesliga. Das zeigt das Ausmaß des Kölner Versagens. Das Bittere: Am Freitag auf der Pressekonferenz gab es von den hohen Herren des FC dazu kein Wort der Selbstkritik und schon gar keine Entschuldigung an die Mitglieder und Fans.

Dabei ist längst bekannt: Der FC hatte von Anfang an gewusst, dass die Verpflichtung von Jaka Cuber Potocnik ein Risiko gewesen war. Er hatte es aber in Kauf genommen. Ebenso hatte der FC anschließend in 2022 keinen ernsthaften Versuch unternommen, die Klage vor der FIFA-Kammer durch eine außergerichtliche Einigung zu verhindern. Diese Versuche begannen erst hektisch und erfolglos, nachdem die FIFA im März 2023 die Transfer-Sperre ausgesprochen hatte. Der Grund: Die FC-Bosse hatten bis dahin weder die Bedrohung noch die Verantwortlichen von Olimpija Ljubljana für voll genommen.

Kurzum: Der FC war zu arrogant und zu schlecht beraten gewesen, um das tatsächliche Risiko und das damit verbundene Ausmaß des Schadens anzuerkennen, das nun mit voller Wucht über den Club hereingebrochen ist. Das Geld, das man den Slowenen hätte zahlen müssen, um die Kuh frühzeitig vom Eis zu führen, hätte den Bruchteil des tatsächlichen Schadens betragen, den die Geißböcke nun ausbaden müssen. Stattdessen redet man sich nun die Situation mit Glückskeks-Sprüchen schön.

Sportlicher Absturz

Damit wären wir beim sportlichen Absturz, der nun Steffen Baumgart den Job gekostet hat. Der FC steckt nicht erst seit dieser Saison in der Krise. Das gesamte Kalenderjahr 2023 war eine Enttäuschung. 35 Ligaspiele, nur acht Siege, 35 Punkte: Mit einer solchen Bilanz kann niemand davon sprechen, dass es sich bei dem Abwärtstrend nur um eine Delle in der Entwicklung handelte. Platz 5, Platz 11, Platz 17 – der Trend spricht schon länger eine eindeutige Sprache.

Dazu hat nicht nur Christian Keller seinen Teil beitragen (siehe Transfers). Steffen Baumgart hatte seinen Weg verloren. Von seinem Ziel, sein Fußball müsse Spaß machen, war am Ende nichts mehr übrig gewesen. Die spielerische Armut der letzten zwei Monate führte zu einer Abwärtsspirale mit Selbstzweifeln, erst bei den Spielern, dann beim Trainer. Die Trennung war eine Niederlage für alle Beteiligten.

Die Entlassung nimmt nun das Schutzschild von der Mannschaft. Vor allem von den vermeintlichen Leistungsträgern, die Baumgart in den letzten Monaten im Stich gelassen haben. Spieler wie Ljubicic, Kainz oder Waldschmidt. Aber auch von Spielern wie Kilian, Adamyan oder Maina, die sich für Bundesliga-Spieler halten, dies aber zuletzt mit nichts belegen konnten. Die Spieler, die ihre Form auf den Rasen brachten, konnte man zuletzt an einer Hand abzählen.

Transfers

Trotzdem muss dieser Kader den Klassenerhalt schaffen, und zwar ohne Verstärkungen. Auch diese Ausrede ist den Spielern wegen des CAS-Entscheids genommen. Sportchef Keller hatte erklärt, er hätte den Kader im Januar gerne zumindest mit einem Sechser und einem Stürmer verstärkt. Das geht nun nicht mehr. Fraglich ist jedoch, ob ihm dies gelungen wäre.

Denn das ist auch ein Teil der Wahrheit: Keller wollte alles anders machen als sein Vorgänger. Er gab weniger aus, senkte Gehälter, senkte Prämien – doch er senkte damit auch das Niveau. Und zwar dramatisch. Seine Transferbilanz ist mangelhaft: Jeder zweite Neuzugang seit dem Sommer 2022 konnte sich bislang nicht durchsetzen. Und ausgerechnet die Spieler, die am meisten kosteten, enttäuschten auch am meisten.

Keller und sein Finanz-Kollege Philipp Türoff glauben, sie alleine könnten über Ablösesummen und Gehälter bestimmen. Die Wahrheit lautet aber: Wenn ein Spieler (und dessen Berater) seine Qualität und damit seinen Wert auf dem Transfermarkt realistisch einschätzen kann, unterschreibt er mittlerweile lieber woanders und nicht beim FC. Denn fast alle Bundesliga-Clubs zahlen inzwischen besser als die Geißböcke. Qualität kostet Geld. Wer nicht bereit ist, es auszugeben, muss sich nicht wundern, dass er keine Qualität bekommt.

Vereinsleben

Hinter den sportlichen Problemen laufen zudem interne Querelen ab. Nicht nur, dass die Stimmung am Geißbockheim schlecht ist, die Geschäftsstelle nicht erst seit dem CAS-Urteil ein Ort der Verunsicherung. Zudem sind die Fans frustriert, und das nicht erst seit Donnerstag. Schon auf der Mitgliederversammlung hatte sich dies gezeigt. Die Mitglieder hatten den Vorstand nicht nur für dessen Alleingang abgestraft, das Format der MV zu verändern. Es war auch deutlich geworden, dass praktisch noch nichts von der hochtrabend formulierten Strategie “FC-Matchplan” umgesetzt wurde.

Das dürfte auch der Grund sein, warum sich der Vorstand praktisch nur noch in vorgefertigten Statements äußert. Wolf konnte am Donnerstag nicht anders, als sich auf der Pressekonferenz zu stellen – das Ergebnis war eine kommunikative Bankrotterklärung. Darüber hinaus hat es ein halbes Jahr keine Interviews mehr mit Wolf und Co. gegeben. Das höchste, von den Mitgliedern gewählte Gremium des elftgrößten Sportvereins der Welt lehnt seit Monaten alle Medienanfragen ab, äußert sich nur im Mitglieder-Newsletter. Kritische Nachfragen sind unerwünscht. Ein untrügliches Anzeichen für die große Anspannung hinter den Kulissen.

Fazit

Der 1. FC Köln hat ein turbulentes Jahr 2023 hinter sich. Niemand begeht absichtlich Fehler. Doch die Anzahl der schlechten Entscheidungen hat sich in den letzten Monaten gehäuft. In solchen Fällen stellt sich die Frage der Verantwortung. Doch beim FC galt auch in 2023 wieder das Gesetz der Anderen. Und dieses lautet: Die Anderen sind Schuld. Die ehemaligen Geschäftsführer für die sportliche und finanzielle Schieflage, die Stadt Köln für den Stillstand bei der Geißbockheim-Frage, die Kölner Sportstätten für den Zustand des Stadions, der DFB für die Rekordstrafen für Pyrotechnik, Olimpija Ljubljana und die Sportgerichtsbarkeit für die Transfer-Sperre.

Die unbequeme Wahrheit zu Weihnachten lautet aber: Die Fehler wurden auf allen Führungsebenen am Geißbockheim gemacht, sie ziehen sich durch den ganzen Club. Und wer Werner Wolf am Donnerstag zuhörte (“Wir sind auf einem guten Weg”), muss befürchten, dass noch immer nicht jeder verstanden hat, wie es um diesen FC steht. Der 1. FC Köln steht an einem Wendepunkt in seiner Geschichte. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, wohin dieser Weg führen wird.

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