Ob Kane oder Boniface – Serhou Guirassy stellt aktuell jeden noch so prominenten Stürmer der Bundesliga in den Schatten. Warum waren seine Jahre beim 1. FC Köln ein einziges Missverständnis? Ein Rückblick vor dem Wiedersehen am Samstag.
Es war ein Sommertag im Jahr 2018, als Markus Anfang probierte, Serhou Guirassy Manieren beizubringen. Der Stürmer eilte aus dem Franz-Kremer-Stadion in Richtung des Kabinentrakts, wollte durch eine Hecke abkürzen, statt den wenige Meter entfernten regulären Weg zu nehmen. Anfang ermahnte ihn kurz und scharf – Guirassy folgte anstandslos.
Mit dieser Anweisung hatte der im französischen Arles geborene Angreifer ein weitaus kleineres Problem als mit der anderen Sache, die Anfang ihm unbedingt beibringen wollte: Der damals neue Trainer des Bundesliga-Absteigers 1. FC Köln wollte Guirassy, das wohl größte Mittelstürmer-Talent des Clubs, unbedingt in einen Linksaußen verwandeln.
Serhou Guirassy: Spott statt FC-Durchbruch
Zwei Jahre zuvor war der 1,87-Meter-Hüne für 3,8 Millionen Euro vom OSC Lille nach Köln gewechselt, um sich im Schatten von Anthony Modeste zu dessen Nachfolger zu entwickeln. In seiner ersten Saison wies Guirassys Bilanz aufgrund langwieriger Verletzungspausen allerdings nur sechs Joker-Einsätze (79 Minuten) auf.
Die zweite Saison endete mit historisch schlechten 22 Punkten und dem sechsten Abstieg der Vereinsgeschichte. Auf den ersten Sieg musste der FC dramatischerweise bis zum Hinrunden-Abschluss warten. Unter anderem, weil Guirassy am neunten Spieltag gegen Werder Bremen seinen persönlichen Tiefpunkt erlebt hatte – als er vor der Südkurve aus zwei Metern das leere Tor verfehlte.
Unter Fans machte anschließend eine Aufnahme die Runde, in der „Leev Marie“, der Karnevalshit der Paveier, in „Guirassy, der Mann, der keine Tore macht“ umgedichtet wurde. Doch der Stürmer bewies in der schwächsten Saison der Vereinsgeschichte durchaus, was ihm steckt: Nach seinem Fehlschuss gegen Bremen traf Guirassy viermal in sechs Bundesliga-Spielen, er schoss den FC zum Europa-League-Sieg gegen Arsenal, bevor ihn die nächsten Verletzungen außer Tritt brachten.
Womit wir wieder bei Markus Anfang wären, unter dem im Sommer 2018 die Mission sofortiger Wiederaufstieg begann – mit Guirassy auf dem Flügel. Bereits zum Start der Vorbereitung begannen Anfang und sein Trainerteam, dem wuchtigen Mittelstürmer ein Linksaußen-Kostüm überzustülpen, das einfach nicht passen wollte.
Serhou Guirassy blüht in Frankreich auf
Der damals 22-Jährige war der Inbegriff eines Rohdiamanten, der geformt werden musste. Allerdings im Angriffszentrum, nicht auf dem Flügel. Nicht auf einer Position, die ihn völlig verunsicherte, für die ihm damals sämtliche taktische Kompetenz fehlte. Das Projekt scheiterte wenig überraschend, nur fünfmal stand Guirassy als Linksaußen in der Kölner Startelf.
Im Sturmzentrum dagegen war überhaupt kein Platz für ihn. An Zweitliga-Torjäger Simon Terodde führte kein Weg vorbei, Jhon Cordobas Knoten platzte, Anthony Modeste bastelte an der Rückkehr. Und Anfang wich – bis Sportchef Armin Veh ein Machtwort sprach – allen Kader-Stärken zum Trotz nicht vom seinem zuvor in Kiel erprobten 4-1-4-1 System ab.
Es passte weder sportlich noch menschlich, Guirassy hatte mit seiner flapsigen Art einen schweren Stand. Der beste Beweis seiner Unreife war die Tatsache, dass er den FC zwei Jahre lang nicht aufklärte, dass er Serhou und nicht Sehrou heißt – der Club hatte ihn die gesamte Zeit über unter falschem Namen geführt.
Im Januar 2019 trat Guirassy schließlich die Flucht an. Zunächst auf Leihbasis zum SC Amiens, der den Stürmer nach Klassenerhalt fest verpflichten musste. Immerhin für sechs Millionen Euro, womit Veh einen stattlichen Gewinn präsentieren konnte. Dieser aber relativierte sich bereits ein Jahr später, als Champions-League-Teilnehmer Stade Rennes 15 Millionen Euro für Guirassy zahlte.
2022 war es Alexander Wehrles VfB Stuttgart, der den Nationalspieler Guineas zurück in die Bundesliga holte, wo Guirassy aktuell von nichts und niemandem zu stoppen ist. Zehn Tore erzielte der mittlerweile 27-Jährige an den ersten fünf Spieltagen, hat damit nicht nur die Rekordmarke von Robert Lewandowski (2020) eingestellt, sondern auch schon einmal mehr getroffen als in seinen kompletten zweieinhalb Jahren in Köln. Vor dem Auswärtsspiel beim FC sind die Schwaben sensationell Tabellendritter.
Guirassys Marktwert schnellt nach oben
Nicht auszudenken, wie gut Guirassy unter Steffen Baumgart als Zielspieler funktionieren würde. Und was für eine Transfer-Summe der Stürmer generieren könnte. An Millionen gemessen, dürfte er nach dem quasi zum Nulltarif zu Bayer Leverkusen abgewanderten Florian Wirtz das spektakulärste Versäumnis der jüngeren FC-Geschichte sein.
Man könnte sagen, Guirassy war in Köln noch nicht bereit für die Bundesliga-Bühne – doch das wäre zu einfach. Sein Talent war unbestritten und hätte, gerade nach dem Abstieg, gefördert werden müssen. Es war allerdings eine Zeit, in der zwischen Trainerteam und sportlicher Leitung kaum ein Rad ins andere griff; als der kurzfristige Erfolg weit über einer langfristigen Entwicklung stand. Für den sofortigen Wiederaufstieg waren Summen investiert worden, von denen Christian Keller und Steffen Baumgart aktuell nur träumen können. Gleiches gilt für einen Stürmer von Guirassys Format.
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