Im Jugendfußball zeichnen sich einschneidende Reformen ab: Die U19- und U17-Bundesligen stehen vor dem Aus, stattdessen sollen Systeme ohne Abstieg etabliert werden, die ausschließlich Vereinen mit professionellen Nachwuchsleistungszentren nach DFB-Standard vorbehalten sein sollen. Im „GEISSBLOG Pro & Contra“ meint unser Reporter Marc L. Merten: Mehmet Scholl hat Recht – im deutschen Nachwuchsfußball muss sich etwas ändern. Die angedachte Reform mag nicht perfekt sein. Doch 15-jährigen destruktiven Fußball einzubläuen, darf nicht die Zukunft dieses Sports sein.
Ein Kommentar von Marc L. Merten
Der DFB will den Nachwuchsfußball revolutionieren, und das ist auch gut so. Denn eines ist wohl allen klar: So wie jetzt darf es nicht weitergehen. Ein Beispiel aus dem Status Quo gefällig? Wenn die U17 des 1. FC Köln gegen die SG Unterrath antritt, mag das Spiel nach 80 Minuten vielleicht 1:1 enden. Doch während der FC versucht Fußball zu spielen, versucht die SG Fußball zu zerstören. Das mag legitim sein, denn für Unterrath geht es um jeden Punkt gegen den Abstieg. Doch heiligen die Zwecke wirklich die Mittel? Sollen 15- oder 16-jährige wirklich dazu verdonnert werden, auf B-Junioren-Niveau destruktiven Fußball zu spielen, weil den Profi-NLZs anders nicht beizukommen ist? Wollen die Teenager in Unterrath, Lippstadt oder Wuppertal nicht lieber auch Fußball spielen statt Fußball zu verhindern?
Perfekte Ausbildung sieht anders aus
Anders herum: Müsste Kölns Trainer Martin Heck nicht daran gelegen sein, all seine Spieler aus der U17 gleichermaßen zu fördern? Schließlich sind die NLZs wie beim FC darauf ausgerichtet, Spieler auf eine mögliche Profi-Karriere vorzubereiten, während die kleineren Teams im Amateurbereich vor allem ambitionierten Hobbyfußballern eine Bühne bieten. In dieser Saison, Corona hin oder her, hätte Martin Heck einige seiner Spieler links liegen lassen müssen. Der Grund: Der Kader ist nicht gut genug, um in einer Saison ganz oben mitzuspielen, in der es nur eine Hinrunde gibt und jeder Punkt in jedem Spiel zählt. Die einzige Möglichkeit: Heck muss den 12 bis 14 besten Spielern so viel Spielzeit wie möglich geben, um in der B-Junioren-Bundesliga oben dabei zu sein. Perfekte Ausbildung sieht anders aus. Der Ergebnisdruck, diesmal nach oben gerichtet, lässt auch hier keine andere Möglichkeit zu.
Der DFB will dies verändern. Nun mag selten eine Idee des Deutschen Fußball-Bundes ausgegoren, ausgewogen und in allen Details nachvollziehbar sein. Auch diese Reform bildet keine Ausnahme. Beispielsweise würde eine Abschaffung der NLZ-Teams unterhalb der U12 dazu führen, dass Vereine wie der 1. FC Köln bereits in diesem Alter versuchen müssten wie auf dem Viehmarkt an die besten Spieler heranzukommen, weil sie die Allerjüngsten gar nicht mehr selbst ausbilden. Gleichzeitig ist es höchst fragwürdig, selbst auf U19-Level keinen wöchentlichen Wettbewerb herzustellen, werden doch die größten Talente immer früher zu Profis und müssen sich mit 17 oder 18 Jahren bereits dem Bundesliga-Ergebnisdruck stellen. Da wäre es förderlich, wenn sie dies in ihrer Ausbildung bereits in Teilen mitbekommen haben.
Straßenkicker werden gesucht und gefordert
Doch im Großen und Ganzen geht es um die Frage: Sollten Fußballer im besten Nachwuchsalter zwischen 12 und 17 Jahren nicht vor allem eines mitbekommen: Spaß an ihrem Sport? Und wann können Teenager am besten frei aufspielen und ihre Lust am Kicken frei entfalten? Wenn sie nicht müssen, wenn sie nicht gezwungen werden, wenn sie nicht schon in diesem Alter dem Drang des Scheiterns ausgesetzt werden. Gewinnen wollen sie eh alle. Aber ihnen den negativen Druck zu nehmen, im Falle einer Niederlage nicht gleich an den Abstieg denken zu müssen, kann eigentlich nur befreiend wirken. Vor allem, weil doch alle Experten danach schreien, dass es keine Straßenkicker mehr gibt, keine Fußballer, die sich einfach mal etwas trauen.
Natürlich wird es dadurch zu einer Trennung zwischen Profi-NLZs und Amateurklubs kommen. Aber jeder, der heute noch daran glaubt, diese Kluft würde irgendwann noch einmal geringer werden, gibt sich einer Illusion hin. Hier der Profisport, dort der Breitensport – das ist schon heute Realität, ob es einem gefällt oder nicht. Tatsache ist: Wer heute Fußballprofi werden will, wechselt so früh wie möglich in eines der professionellen NLZs in Deutschland. Und dort sagt man sich, ganz die Elite, die man sein will: Wenn ohnehin die größten Talente bei uns spielen, warum sollen diese nicht vor allem gegen die größten Talente anderer Klubs spielen? Das mag arrogant klingen, doch letztlich geht es auch um die Frage: Will ein Klub wie der 1. FC Köln in der Bundesliga mit Eigengewächsen auflaufen oder mit einer zusammengekauften Mannschaft? Die Antwort gibt jeder Fan in weniger als einer Sekunde.
Besten Nachwuchsspielern muss beste Ausbildung ermöglicht werden
Der Umkehrschluss bedeutet aber auch: Dann muss diesen Nachwuchsspielern im eigenen Klub auch die bestmögliche Ausbildung zuteil werden. Und das ist aktuell nicht der Fall. Nicht nur aufgrund des maroden Geißbockheims, sondern aufgrund eines Ligensystems im Nachwuchs, das so keinen Sinn mehr ergibt. Natürlich, die Reform ist nicht das Gelbe vom Ei. Immerhin ist sie vom DFB initiiert worden. Wer will da schon den großen Wurf erwarten? Und sicherlich ist die Reform mehr eine Hoffnung als eine Garantie, dass sich etwas ändert. Trainer und Spieler müssen auch den Mut haben, weniger auf Ergebnis denn auf Spaß und Lust an einem geilen Kick auf den Rasen zu gehen. Doch das Ziel, wieder mehr Spaß statt taktischer Korsette zu vermitteln, ist ein Fortschritt.
Mehmet Scholl sagte vor drei Jahren: „Wir verlieren die Basis. Die Kinder müssen abspielen, sie dürfen sich nicht mehr im Dribbeln ausprobieren. Sie bekommen auch nicht mehr die richtigen Hinweise, warum ein Pass oder ein Dribbling nicht gelingt. Stattdessen können sie 18 Systeme rückwärts laufen und furzen.“ Die Basis wird der Profifußball nie wieder zurückgewinnen. Diese Zeit ist vorbei. Aber den Kindern wieder mehr beizubringen als Zwangsmaßnahmen für Ergebnisfußball, könnte Scholls Blähungen mindern.
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