Alexander Wehrle verlässt den 1. FC Köln – das ist keine Überraschung mehr. Seit Wochen bereitet sich der Vorstand der Geißböcke auf den Abschied des Geschäftsführers vor. Mit zwei Neuverpflichtungen hat man bereits vorgesorgt. Doch mit dem Wehrle-Abschied wird sich auch zeigen, wie realistisch das Ziel “personenunabhängiger Strukturen” wirklich ist.
Ein Kommentar von Marc L. Merten
Alexander Wehrle hat die Fan-Schaft des 1. FC Köln in den letzten Jahren gespalten. Die Einen kritisierten Wehrle immer schärfer, zogen sogar mit Plakat-Kampagnen in der Stadt gegen den Geschäftsführer in den Meinungskrieg. Die Anderen verteidigten den Geschäftsführer bis hin zu der Verblendung, dass ohne den 46-jährigen beim 1. FC Köln alle Mühlen still stehen und der Klub kollabieren würde.
Wehrles Wirken
Beide Extreme sind freilich weit von der Realität entfernt. Die Wahrheit liegt, wie so häufig, in der Mitte. Wehrle war ab 2013 der treibende Sanierer und Architekt des Erfolgs bis 2017. Wehrle begann aber, parallel zu den Sportchefs Schmadtke, Veh und Heldt, Fehler zu machen. Die Gehaltsstruktur der Profi-Abteilung geriet aus dem Gleichgewicht, Investitionen in die Mannschaft wurden kurzfristiger gedacht, vor allem unter Veh ging es nur noch um das Erreichen des nächsten Ziels. Die Langfristigkeit geriet aus dem Blickfeld.
Dafür wiederum hat Wehrle über Jahre die Sponsorenbasis der Geißböcke immer größer und internationaler aufgestellt. Dass der Klub mit allen großen Geldgebern langjährige Verträge und damit Sicherheiten für die Zukunft hat, hat der FC dem 46-jährigen zu verdanken. Genauso das öffentlich bislang kaum beachtete, weil noch schwer zu beziffernde “New Business” durch digitale Plattformen, Beteiligungen an Start-ups und im eSport, das dem Unternehmen 1. FC Köln langfristig neue Einnahme-Potentiale und wichtigen Wissenstransfer ermöglichen soll. Kaum ein anderer Bundesligist ist in diesem Bereich so innovativ aufgestellt.
Der FC wird seinen Betrieb ohne Wehrle nicht einstellen
So kann es keinen Zweifel geben, dass – wie es Präsident Werner Wolf in der Pressemitteilung selbst sagte – im April 2022 eine Ära zu Ende gehen wird. Wehrle war in den letzten Jahren die einzige Konstante in der Führungsetage des 1. FC Köln und wurde so zu einem der Gesichter des Klubs. National erlangte er zudem über seine Rolle im DFL-Präsidium weitreichende Bekanntheit. Und so entstand das Bild, dass der FC ohne Wehrle kaum funktionieren könne. Ein Bild, das freilich nicht der Wahrheit entspricht.
Der 1. FC Köln wird seinen Betrieb nicht einstellen, nur weil der aktuell einzige Geschäftsführer im April den Klub verlassen wird. Bis dahin kommen zwei weitere Geschäftsführer hinzu. Philipp Türoff mag zwar im Fußball noch keine Erfahrung haben und wird sich, von Wehrle angeleitet, zunächst einmal in die Besonderheiten des Bundesliga-Business inklusive Lizenzierung einarbeiten müssen. Jedoch darf man von einem Finanzexperten seines Kalibers erwarten, dass er dazu in der Lage sein wird, nachdem er gerade noch eine Vier-Milliarden-Übernahme bei Birkenstock abgewickelt hatte.
Wie viel Persönlichkeit geht dem 1. FC Köln verloren?
Den sportlichen Bereich wird derweil künftig Christian Keller verantworten. Und mit ihm wird wiederum genügend Fußballwissen – auch im Finanzsektor, insbesondere der Lizenzierung – zum FC stoßen, welches Türoffs Expertise gut ergänzen dürfte. Sodass einzig die Frage bliebe: Wie viel Persönlichkeit geht dem 1. FC Köln durch den Abschied von Alexander Wehrle verloren? Der FC-Geschäftsführer war fraglos in der Stadt Köln und in der Privatwirtschaft bei Sponsoren und potentiellen Partnern so gut vernetzt wie keine andere Führungsperson beim FC. Dieses Netzwerk wird verloren gehen und ersetzt werden müssen.
Und genau mit dieser persönlichen Qualität stößt das Ziel des FC-Vorstands, “personenunabhängige Strukturen” zu schaffen, an seine natürliche Grenze. Diese Vorgabe klingt zwar gut, hat im Fußball aber seine Limits – ob auf Geschäftsführer-, Sportchef- oder Trainer-Ebene. Alexander Wehrle und Steffen Baumgart sind die besten Beispiele dafür. Wehrle konnte den FC immer verkaufen, konnte als Frontmann agieren, konnte Menschen für den FC begeistern. Baumgart hat diese Fähigkeiten in kürzester Zeit auch im Sportlichen nachgewiesen.
Der Personality-Bedarf im Fußball ist groß
Was dem Vorstand in den vergangenen Monaten fraglos gelungen ist, ist die Neuaufstellung der Strukturen. Im Sport soll es nicht mehr den Alleinherrscher-Sportchef geben, sondern die Lizenzspieler-Leiter (Berg und Kessler) sowie das Scouting (Schulz) mehr Gewicht bekommen. Und weil die 16 Abteilungen künftig nicht mehr an einen oder zwei, sondern an drei Geschäftsführer berichten werden, ist auch hier das Wissen künftig auf mehr Köpfe und die Verantwortung auf mehr Schultern verteilt.
Und doch bricht dem FC mit Wehrle Wissen, Netzwerk und eine Persönlichkeit mit Strahlkraft weg. Die Frage darf also nicht nur lauten, wer künftig die Arbeit im Hintergrund macht, sondern auch, wer künftig den FC nach außen verkaufen soll – außer Baumgart. Die große Bühne ist nicht für jedermann gemacht, das weiß der Vorstand aus eigener Erfahrung am besten. Bei allen Strukturen braucht es also auch öffentlichkeitswirksame Persönlichkeiten. Denn das Fußball-Business ist genauso wie das Show-Business vor allem auch eins: eine Unterhaltungsbranche. Wehrle hatte das verinnerlicht wie nur wenige sonst beim FC.
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