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Offener Brief an Hector: Vielen Dank für Ihre Unangepasstheit!

Jonas Hector beendet seine Karriere. (Foto: Bucco)
Jonas Hector beendet seine Karriere. (Foto: Bucco)

Der Kapitän des 1. FC Köln hat in einem bemerkenswert offenen Interview mit 11Freunde über den Profifußball und über den Profi Jonas Hector gesprochen. In dieser Kolumne richtet Marc L. Merten einen offenen Brief an den 32-Jährigen.

Sehr geehrter Jonas Hector, 
schon die Anrede hätte ich fast versemmelt wie ein Mittelstürmer eine Großchance. “Lieber Herr Hector” hätte nicht gepasst. Sie und ich, so viel wissen wir beide, sind uns nie aus Liebe begegnet. Unsere Berufe haben uns zusammengeführt: hier der Profifußballer, dort der Sportreporter. Eine Welt und doch so verschieden.

Uns eint, dass wir mit der jeweils anderen Spezies so unsere Probleme haben. Im 11Freunde-Interview haben Sie das noch einmal deutlich gemacht. Es war (und ist noch immer) ein Privileg, jemanden wie Sie begleitet zu haben, denn ein besseres Beispiel als Sie für die nicht immer einfachen Verbindungen zwischen Profifußball und Journalismus könnte es kaum geben.

Wie viel Sie Ihren Kameraden bedeuten

Herr Hector, Sie verkörpern vieles – und haben dies im Interview erneut demonstriert –, was eine Identifikationsfigur im Profifußball ausmachen sollte: Ehrlichkeit und harte Arbeit, der unbedingte Wille und die Freude am Beruf, die Leidenschaft im Streben nach Erfolg, aber eben nicht um jeden Preis, und über allem stand für Sie immer der Teamgedanke.

Sie haben, obwohl kein Mann für die erste Reihe, Ihre Vorbildfunktion akzeptiert, in die Sie ganz natürlich hineingewachsen sind. Sie haben sie mit Leben gefüllt, und jeder, der Ihre Abschiedsworte und die Momente danach in der Kabine in der Doku „24/7 FC“ gesehen hat, weiß, was Sie Ihren Kameraden bedeuten.

Respekt für Ihr außergewöhnliches Eingeständnis

Gleichzeitig haben Sie sich eindrucksvoll geweigert in ein Korsett des Profifußballs gepresst zu werden. Sie haben den Verlockungen der Branche so gut es geht widerstanden. Sie haben nicht auf Teufel komm raus nach Titeln gestrebt, nicht immer ein höheres Gehalt gefordert, sind nicht in teuren Sportwagen vorgefahren oder haben lächerliche Outfits zur Schau getragen. Der Unterhaltungsbranche haben sie nie etwas abgewinnen können.

Dennoch haben Sie im Interview eingestanden, zwischenzeitlich in Gefahr geschwebt zu haben, abzuheben. Zwar wollten Sie das nicht ausführen, doch eine solche Aussage erfordert enorme Selbstreflexion. Sie sprechen auch offen von der psychologischen Hilfe, die Sie seit Jahren und bis heute suchen – viele Menschen, die dies ebenso tun, dürften aufatmen, weil jemand wie Sie damit an die Öffentlichkeit geht. Eine solche Ehrlichkeit ist selten, und sie passt zu Ihnen. Damit helfen Sie auch anderen. Chapeau!

Medien und Profifußball: Die Pandemie hat es gezeigt

Ob Sie es wollen oder nicht: Ein bisschen kennen Sie mich ja doch, und so wissen Sie auch, dass ich Sie hier nicht gänzlich ohne Kritik rauslassen werde. Sie haben in den letzten Jahren der Fußballbranche immer häufiger den Spiegel vorgehalten, auch uns Medienvertretern. Daher gestatten Sie mir bitte, diesen Gefallen zu erwidern.

Es gibt zwei Aussagen in Ihrem Interview, über die ich länger nachgedacht habe. Eine lautet: “Durch die Gewissheit, in meinem Job so gut verdient zu haben, dass ich nicht auf ein Studium angewiesen bin, hat mir am Ende der Ehrgeiz und die Entschlossenheit gefehlt, es durchzuziehen.” Einerseits ist das verständlich und für jemandem in Ihrer Situation bestimmt nicht ungewöhnlich. Andererseits nehme ich nun den Spiegel zur Hand und frage: Wer, glauben Sie, hat Ihnen ermöglicht, auf den Abschluss Ihres Studiums zu verzichten? Die Medien.

Die Pandemie hat es gezeigt: Ohne die Einnahmen aus den Medienrechten wären die allermeisten Fußballklubs kollabiert. Sponsoren? Ganz nett. Zuschauer im Stadion? Wichtig. Aber die meiste Kohle kommt Jahr für Jahr aus der medialen Vermarktung. Warum verdienen Fußballerinnen nicht ansatzweise so viel wie Fußballer? Nicht, weil die Fans in den Stadien fehlen – sondern weil die Medien keine Milliarden für die Rechte zahlen können. Ich würde mir wünschen, dass jemand wie Sie, den ich für einen außergewöhnlich intelligenten Menschen halte, diesen Kreislauf aus Klubs, Fußballern, Medien, Fans und Geld akzeptiert. Steigt eine Partei aus, ist es für alle anderen Parteien vorbei.

Wir Medien sind nicht an allem schuld

Daran schließt sich eine andere Passage an, über die ich gestolpert bin. Sie sagen, angesprochen auf die Abstiegssaison 2017/18: „Es war hart mitzuerleben, wie damals die Stimmung in der Medienstadt Köln kippte. Wie wir erst hochgejubelt und dann runtergeschrieben wurden.“ Sie wissen wahrscheinlich, dass das großer Unsinn ist. Übrigens genauso wie Ihre Behauptung, dass Sie dies “in Ansätzen in dieser Saison wieder erlebt” hätten.

Zu 2017/18: Nicht die Medien haben den FC damals „zerrüttet“, wie Sie sagen. Das hat der FC ganz alleine hinbekommen. Ich fände es also fair, wenn Sie nicht die Kölner Medien zum Sündenbock für etwas machen würden, das die damaligen Geschäftsführung, Trainerteam und Mannschaft zu verantworten hatten. Zu 2022/23: Ich bin tatsächlich bass erstaunt ob dieses Vergleichs und würde mich gerne mit Ihnen darüber austauschen. Überhaupt fände ich wenig rund um den FC interessanter als ein offenes, ehrliches Gespräch mit Ihnen. Auch, wenn ich ziemlich sicher weiß, dass dies nie geschehen wird.

Meine FC-Trikots – damals und heute

Herr Hector, Sie haben Außergewöhnliches erreicht beim 1. FC Köln. Sie werden als Idol gehen, als einer der wenigen „E Levve lang FC“-Spieler in die Geschichte des Klubs eingehen. Sie werden sich wohl weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückziehen, und dennoch muss man dem Klub wünschen, dass es ihm gelingen wird, Sie in der Zukunft einzubinden. Sie verkörpern vieles, was dem Klub auch noch über die kommenden Jahrzehnte gut tun würde.

Ich habe Sie in der Vergangenheit sportlich bewertet, positiv wie negativ kritisiert und kommentiert. Das war und ist meine Aufgabe. Ich habe auch hinterfragt, ob Sie gegenüber so manchem Fan, der einfach nur ein Autogramm haben wollte, respektvoller hätten sein müssen. Sie werden froh sein, wenn Sie in einigen Wochen beim GEISSBLOG und in den anderen Medien sukzessive weniger über sich lesen werden.

Ich besitze so manches FC-Trikot aus den vergangenen vier Jahrzehnten. Kein einziges habe ich mir mit der Nummer und dem Namen eines Spielers beflocken lassen. Nur beim Torwarttrikot von Bodo Illgner bedauere ich bis heute, dass damals noch keine Namen auf den Trikots üblich waren. Vor einer Woche habe ich mein schwarzes Jubiläumstrikot aus dieser Saison nachträglich beflocken lassen: mit der 14 und Ihrem Namen.

Respektvolle Grüße
Marc L. Merten

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