Der 1. FC Köln hat eine bewegte Saison 2022/23 hinter sich. Nun muss Christian Keller auf dem Transfermarkt den Kader für die kommende Spielzeit vorbereiten. Im ersten Teil des großen GEISSBLOG-Interviews blickt der Sportchef zurück und erklärt, was dem FC noch fehlt.
Das Interview führte Marc L. Merten
GEISSBLOG: Herr Keller, eine lange Saison für den 1. FC Köln ist zu Ende gegangen. Wie fällt Ihr Fazit aus?
CHRISTIAN KELLER: Das Zentralste für die Bewertung ist die Leistung. Wir gehen nach dem Grundsatz: Leistung vor Ergebnis. Da bin ich zufrieden, wenn ich über den Saisonverlauf hinweg betrachte, was diese Mannschaft geleistet hat.
Und mit den Ergebnissen?
Mit den Ergebnissen bin ich nicht ganz zufrieden. Wir hätten ein paar Punkte mehr holen können. Wir sind manchmal aber daran gescheitert, dass uns die Effizienz im letzten Drittel gefehlt hat. Das ist allerdings etwas, was wir schon vor der Saison gewusst hatten.
Hatten Sie damit gerechnet, dass die Saison so intensiv werden würde?
Was heißt intensiv? Ich habe vor vielen Jahren schon mal eine Saison erlebt, in denen mein Auto zerkratzt wurde, mir Eier in den Briefkasten gelegt wurden, die Leute „Keller raus“ geschrien haben und wir mit Polizei-Eskorte aus dem Stadion begleitet werden mussten. Wir haben Drohbriefe bekommen und die Stadt wurde plakatiert mit „Suchen neuen Sport-Geschäftsführer“. Insofern habe ich schon ganz anderes erlebt.
Sagen wir mal, beim FC war diese Saison anders intensiv.
Das stimmt. Wir haben ja alles mitgenommen, was möglich war. Die Conference League mit dem Gewalt-Eklat in Nizza, den Spielunterbrechungen in Belgrad, die Spielverlegung wegen des Nebel-Abbruchs in Tschechien, zwei Tage später wieder Bundesliga. Dann die Transfer-Sperre, die vielen Verletzten, die WM-Pause im Winter und die anderen Nebenkriegsschauplätze wie die Verlegung des Leverkusen-Spiels. So viel war in Regensburg dann doch nicht los (lacht).
Dafür ist die Mannschaft mit all den Rückschlägen und Irritationen gut umgegangen.
Das ist eine der ganz großen Stärken dieser Mannschaft und des Trainerteams. Das Trainerteam lebt der Mannschaft jeden Tag vor, dass man immer mit einer positiven Haltung an die Aufgaben rangehen muss. Das nimmt die Mannschaft wirklich sehr gut an.
Und all das mit einem enormen Aufwand. Der FC war wieder die laufstärkste Mannschaft der Liga. Müsste man sich für diesen Aufwand nicht sogar noch häufiger belohnen?
Das sehe ich anders. Es gibt das Bestreben, physisch und mental immer an die 100 Prozent heranzukommen. Das müssen wir auch, denn es gibt Mannschaften, die individuell hochwertiger besetzt sind. Da muss man sich nur die Etats anschauen. Manche Teams investieren das Doppelte oder Dreifache oder sogar noch mehr als wir. Diese Unterschiede müssen wir mit anderen Waffen kompensieren. Wir kommen über das Kollektiv, eine klare Führung, eine gute Spielidee und mit einer herausragenden Physis. Die Bereitschaft alles zu geben, kann man der Mannschaft nie absprechen. Wenn der Gegner trotzdem besser war, was wollen wir dann kritisieren? Wir haben auch in dieser Saison gezeigt, dass wir gegen jeden Gegner Punkte holen können.
Sie haben die individuelle Qualität angesprochen. Wie wollen Sie diese im Kader noch steigern?
Die Qualität wird sich automatisch erhöhen, indem sich die Spieler weiterentwickeln. Wir haben etliche Spieler, die vor einem Jahr noch keine Bundesliga-Spieler waren und sich nun zu solchen entwickelt haben. Nehmen wir unsere U21-Nationalspieler: Jan Thielmann hatte ein Seuchenjahr, aber er hat das Niveau schon nachgewiesen. Der Weg von Denis Huseinbasic spricht für sich. Und Eric Martel hat einen Riesensprung gemacht. Am Schluss hat er konstant sehr solides Bundesliga-Niveau gespielt.
Er hatte mit Ellyes Skhiri einen guten Lehrmeister. Wie sehen Sie Martels Entwicklung im Speziellen?
Wenn ich allein sein letztes Saisonspiel gegen Bayern sehe: Mit welcher Selbstverständlichkeit er agiert hat im Vergleich zu seinem allerersten Spiel in Leipzig. Da ging alles noch viel zu schnell für ihn. Da war das Spiel gegen die Bayern ein großer Unterschied. Er hat eine brutale Entwicklung hingelegt und ist damit noch lange nicht fertig.
An welche anderen Spieler denken Sie in ihrer Entwicklung?
Linton Maina hat ebenfalls einen großen Entwicklungssprung hingelegt. Auch Steffen Tigges hat einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht, auch wenn er sein Leistungsvermögen noch nicht konstant abrufen kann. Davie Selke war zwar im Winter kein Unbekannter. Jetzt zeigt er wieder, dass er Tore schießen und für unsere Mannschaft auch als Typ sehr wichtig sein kann. Und so könnte ich noch ein paar andere Spieler hinzufügen. Natürlich ist das immer auch ein Vabanquespiel, weil sich die Konkurrenz fertige Spieler holen kann. Deshalb werden wir jetzt vielleicht auch den einen oder anderen fertigen Spieler holen.
Auf welchen Positionen wird der FC nachlegen?
Wir brauchen einen Torwart, der unser Quartett komplettiert, weil wir mit Jonas Urbig verlängern und ihn noch einmal verleihen wollen, um ihm Spielpraxis zu ermöglichen. Dann suchen wir nach einem Sechser, weil durch den Abgang von Ellyes Skhiri eine Vakanz entstanden ist. Dann unter Umständen einen Rechtsverteidiger. Das hängt aber von der Verlängerung eines Bestandsspielers ab.
Sie meinen Kingsley Schindler.
Genau. Er hat ein Vertragsangebot vorliegen. Es bleibt abzuwarten, ob er es annimmt.
Sie haben die Sechs schon angesprochen. Ellyes Skhiri ist nicht zu ersetzen. Müssen Sie daher auf einen dieser „fertigen“ Spieler setzen, um seinen Verlust zu kompensieren?
Ja. Wir haben mit Ellyes und Jonas zwei überdurchschnittliche Bundesligaspieler verloren. Auf der Linksverteidiger-Position haben wir diese Lücke gut geschlossen. Leart Paqarada war der Benchmark-Spieler der Zweiten Liga, dem wir zutrauen, auch in der Bundesliga eine gute Rolle zu spielen. Den Verlust von Jonas kann trotzdem kein Spieler kompensieren, diese Erwartungshaltung haben wir aber auch nicht an Leart. Auf der Sechs werden wir versuchen, einen Spieler zu holen, der am besten direkt gutes Bundesliga-Niveau spielen kann.
Das wird eine große Aufgabe.
Wir arbeiten daran. Mit Eric Martel, Mathias Olesen und Denis Huseinbasic haben wir drei junge Spieler, die es schon alle gut gemacht haben. Dejan Ljubicic wird in der nächsten Saison noch mal mehr Verantwortung übernehmen müssen – ob auf der Sechs oder auf einer anderen Position. Aber bei unerfahrenen Spielern sind Ausschläge in der Leistungskurve normal. Für ein stabiles Kollektiv brauchen wir aber in der Achse Spieler, die möglichst wenig Ausschläge haben. Daher schauen wir uns um.
Kommen wir zur Offensive. Benedict Hollerbach soll kommen, heißt es.
Er ist ein Spieler, den wir uns anschauen. Der Aufstieg hat aber maßgeblich etwas verändert, weil der Spieler dadurch einen gültigen Vertrag hat. Er ist sportlich für uns interessant. Das heißt aber nicht, dass wir ihn verpflichten werden.
Soll er der einzige Spieler für die Offensive bleiben?
Wir werden sicherlich noch einen Spieler verpflichten, der im Idealfall als Zehner und als hängende Spitze spielen kann.
Obwohl Florian Kainz sich als Zehner etabliert hat?
Je mehr Optionen wir haben, desto besser. Im Idealfall können unsere Spieler in der Offensive variabel eingesetzt werden. Dann können sie auch während des Spiels rotieren. Florian Kainz hat es auf der Zehn sehr gut gemacht. Mit ihm haben wir mehr Lösungsqualität bekommen. Dennoch wollen wir diese Qualität noch vermehrt hinzuholen.
Mark Uth hätte diese Qualität. Wie groß ist die Hoffnung, dass er wirklich im Sommer zurückkehren kann?
Wir gehen davon aus, dass Mark während der Vorbereitung vollständig ins Mannschaftstraining einsteigen kann. Sein Heilungsverlauf ist sehr positiv und hat große Fortschritte gemacht. Bis Juli hat er noch ein paar Wochen Zeit. Deshalb sind wir sehr positiv gestimmt.
Ein anderer Spieler, der die Qualität hätte, sie aber nicht zeigt, ist Sargis Adamyan. Was macht Ihnen Hoffnung, dass er noch einmal die Kurve bekommt?
Wir gehen davon aus, dass Sargis zum Trainingsauftakt in einem anderen Zustand hier wieder aufschlägt und sich dann auch anders präsentiert. Wir haben Sargis klar mitgeteilt, dass er uns helfen könnte, wenn er liefern würde. Wer ihn in Brügge spielen gesehen hat und mit dem Sargis der letzten Monate hier vergleicht, hat zwei unterschiedliche Spieler gesehen. Er weiß, dass er sehr viel mehr kann und dass er jetzt auch in der Bringschuld ist.
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