Der 1. FC Köln will in der Kaderplanung neue Wege gehen. Das führt automatisch auch zu Enttäuschungen – und zu Entscheidungen, die nicht immer sofort nachvollziehbar sind. Eine kommentierende Analyse.
Der 1. FC Köln im Jahr 2023 ist nicht mehr der 1. FC Köln aus den Jahren 2019 oder 2020. So viel ist längst klar. Das zeigt sich in diesem Transfersommer. Die Verantwortlichen nehmen auch Enttäuschungen hin, um ihren Weg zu beschreiten. Und gehen dabei auch ins Risiko, nur anders als früher.
Vor vier oder drei Jahren gingen die Verantwortlichen auch ins Risiko, aber ins finanzielle. Alexander Wehrle sowie die beiden Sport-Geschäftsführer Armin Veh und Horst Heldt gingen mit allem Geld, was der FC hatte, all-in. Lange Verträge, hohe Gehälter, selbst im Sommer 2020 nach dem Ausbruch der Pandemie noch hohe Ablösesummen – alles für den (kurzfristigen) sportlichen Erfolg. Diese Zeit scheint vorerst vorbei.
Das neue Geschäftsführer-Trio will anders sein, sensibler im Umgang mit Geld, moderater in der Vertragsgestaltung, vorausschauender in der Kaderplanung. Auch deshalb hat sich der FC nun aus dem Poker um Benedict Hollerbach zurückgezogen. Auch deshalb hat Kingsley Schindler ein nicht verhandelbares Angebot zu deutlich reduzierten Bezügen erhalten. Auch deshalb trainiert Justin Diehl nicht mehr bei den Profis.
1. Benedict Hollerbach
Das Beispiel Hollerbach zeigt: Der FC will seine Gehaltshygiene durchsetzen, will nicht einfach nur nach Potential bezahlen, sondern nach dem, was ein Spieler schon erreicht hat. Viele Vereine pumpen Millionen in Möchtegern-Talente, die dann schon mit ihrem ersten Vertrag satt sind, ehe sie begonnen haben, hart an sich zu arbeiten. Auch der FC kennt solche Fälle aus der eigenen, jüngeren Vergangenheit.
Im Fall Hollerbachs war es nun einfach: Ein Drittliga-Spieler, der nie höher gespielt hat, hat beim FC kein Anrecht auf das Gehalt eines gestandenen Erstliga-Spielers. Doch weil der Spieler seine Ansprüche nach der erfolgreichen Relegation hochschraubte, stieg der FC aus. Der Grund: Köln kann sich kostspielige Zockereien auf Talente nicht mehr erlauben. Entweder, die Talente sind bereit sich einen besser dotierten Vertrag erst zu verdienen – wie Martel oder Huseinbasic – oder sie werden gar nicht erst verpflichtet. Wie Hollerbach.
2. Kingsley Schindler
Bei Schindler ist die Sache anders gelagert. Schindler kam 2019 vor der Corona-Pandemie, vor dem finanziellen Kollaps. Der FC war spendabel, nach dem Aufstieg wähnte sich Veh schon fast wieder in Europa – und zahlte entsprechend. Diesen Vertrag hätte jeder unterschrieben. Doch vier Jahre später ist alles anders – und Schindler nur ein Ergänzungsspieler.
Natürlich ist es aus Sicht des Spielers legitim den Gehaltseinschnitt zu hinterfragen. Wer zuvor deutlich über eine Million Euro pro Jahr verdient hat, soll künftig beim selben Klub für dieselbe Rolle nur noch die Hälfte oder gar weniger verdienen? Doch Schindler hat in vier Jahren beim FC von 9.180 möglichen Minuten nur 2.250 Minuten gespielt (das eine Jahr Leihe nach Hannover gar nicht erst eingerechnet). Das spricht für sich.
Man muss beiden Seiten Verständnis entgegen bringen. Der FC muss sich sanieren. Das mussten auch schon Florian Kainz und Benno Schmitz spüren, als sie ihre Verträge 2022 zu deutlich reduzierten Zügen verlängerten. Sie gingen den Weg mit, wurden Leistungsträger, Kainz hat bereits wieder zu besseren Bezügen unterschrieben, Schmitz soll folgen. Andererseits ist es legitim, dass sich Schindler anderweitig umsieht. Nur eben ohne den FC. Die Tür schließt sich. Es wird nicht mehr verhandelt.
3. Justin Diehl
Das gilt auch für Justin Diehl, allerdings, weil der Youngster gar nicht verhandeln will. Seine Berater haben entschieden: Diehl soll wechseln. Egal, was der FC bereit wäre zu zahlen. Egal, was der FC sportlich für eine Perspektive bietet. Man muss als Spieler schon mutig sein, in der aktuellen Entwicklung der Geißböcke unter Steffen Baumgart den Club zu verlassen – zumindest unter sportlichen Gesichtspunkten.
Doch wenn das große Geld ruft, enden häufig Vernunft und Geduld. Wer als Talent die schnellen Millionen verdienen will, ist in Köln falsch. Siehe Hollerbach. Wer aber schnellen, offensiven und im Liga-Vergleich durchaus erfolgreichen Bundesliga-Fußball spielen will, der vertraut Baumgart und dem FC. Auch als Talent. Siehe Huseinbasic. Siehe Martel. Siehe Thielmann, Maina, Olesen oder Tigges.
4. Jens Castrop
Daher ist es auf den ersten Blick umso unverständlicher, dass der 1. FC Köln Jens Castrop hat ziehen lassen. Aus dem Geißbockheim hört man, dass die FC-Führung dem Eigengewächs die Bundesliga nicht zugetraut hätte. Das ist eine gewagte These bei einem 19-jährigen Stammspieler der Zweiten Liga. Und so ist diese Entscheidung auch ein Risiko, welches die Verantwortlichen eingehen. Zunächst sportlich und dann finanziell (mit Blick auf eine mögliche Millionen-Ablöse).
Sollte Castrop in Nürnberg oder woanders durchstarten, müssten sich Christian Keller und Co. für die Fahrlässigkeit verantworten, Castrop nicht zurückgeholt und ausprobiert zu haben. Bei Huseinbasic hatte man es gemacht – warum nicht bei Castrop? Bei jedem Talent liegt der Fall anders. Das zeigen alleine die Unterschiede bei Florian Wirtz, Yann Aurel Bisseck und nun Justin Diehl. Auch das Fall Castrop war anders. Doch im Gegensatz zu den anderen dreien hätte der FC hier selbst handeln können. Diese Chance hat man vertan und wird erst in einiger Zeit wissen, ob es richtig war den Jungen ziehen zu lassen.
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