Mehr Karten im Kampf gegen Reklamieren. (Foto: Mika Volkmann)

Am Kern des Problems vorbei: Das falsche Spiel mit den Emotionen

Fußball-Deutschland diskutiert mal wieder. Hitzig, aufgebracht, emotional. Denn schließlich geht es ja um Emotionen. Die neue Regel der Schiedsrichter, beim Reklamieren schneller die Gelbe Karte zu zeigen, erregt die Gemüter. Dabei zeigt die Art und Weise der Diskussion selbst bereits, dass der Ansatz eigentlich richtig ist: Es geht darum, sich wieder respektvoller auszutauschen – auf und neben dem Platz. Doch an den Kern des Problems traut sich der Fußball nicht. Wie so häufig.

Ein Kommentar von Marc L. Merten

Lothar Matthäus hat Angst davor, dass dem Fußball die Emotionen geraubt werden. Er fordert, diese Gelb-Regel müsse wieder abgeschafft werden. Es gehe doch um das Herz des Fußballs. Lothar Matthäus, dereinst mit seiner Heulsusen-Geste gegen Andreas Möller, will also lieber weiter einen respektlosen Umgang mit Schiedsrichtern. Ansonsten mache man den Fußball kaputt. Das ist bekanntlich das Totschlag-Argument eines jeden Fußballliebhabers. Jede neue Regel mache erst einmal den Fußball kaputt. Im Gesamten. Komplett. Aus und vorbei. Gelbe Karten wegen Meckerns? Da kann man den Laden ja direkt zusperren.

Es ist die typische Schutzhaltung des sich selbst schützenden Systems. Angst vor Veränderungen nennt man das auch. Dabei könnte es so einfach sein. Man müsste sich nur anderswo umschauen. Um die Situation einerseits beispielhaft mit einer anderen Sportart zu vergleichen und andererseits die Macho-Sprache des Fußballs zu bedienen, könnte man sagen: Im Handball sieht man Männer-Emotionen, im Fußball Memmen-Emotionen. Im Handball regieren Adrenalin und Testosteron, man erlebt ein aufgeputschtes Balzverhalten der Darsteller auf dem Platz. Die Spieler feiern jeden Block, jeden Ballgewinn, jeden abgewehrten gegnerischen Angriff, jede Torwartparade und natürlich jedes Tor. Sie pushen sich und das Publikum, motivieren sich mit ihren eigenen Leistungen. Wenn Schiedsrichter nicht in ihrem Sinne pfeifen, passiert dies freilich nicht ohne Widerworte. Doch der Ball wird sofort freigegeben, es geht sofort wieder darum die nächste Aktion des Gegners zu verhindern. Im Fußball sieht man dagegen weinerliches Lamentieren, schwalbenhafte Schauspielereien, verlogene Unschuldsbekundungen und respektloses Gemecker. Bis nach einem Pfiff ein Freistoß ausgeführt werden kann, vergeht mitunter eine Minute, bis sich alle mal wieder beruhigt haben.

Nur eine gravierende Regeländerung würde das Problem lösen

Kurzum: Während im Handball die positiven Emotionen gefeiert werden und regelmäßig für Hexenkessel in den Arenen sorgen, überwiegen im Fußball die negativen Emotionen, die sich entsprechend negativ auf die Ränge und Zuschauer übertragen. Die härtere Bestrafung durch häufigere Gelbe Karten wird daran zunächst wohl nur bedingt etwas ändern. Das Problem ist, dass sich der Fußball nicht an die Wurzeln des Übels herantraut: an die grundlegenden Regeln. Der Fußball wird so lange mit dem ewigen Lamentieren und Reklamieren ein Problem haben, solange man sich der Einführung einer Zeitstrafe verweigert. In anderen Sportarten wie im Handball, Eishockey, Hockey (Zeitstrafen) oder Basketball (technisches Foul) gibt es für verbale Regelüberschreitungen diese persönlichen Strafen. Nur im Fußball nicht. Da hantiert man lieber hilf- und wahllos mit mehr Gelben Karten, die urplötzlich und scheinbar völlig überraschend zu häufigeren Gelb-Roten Karten führen. Gäbe es Zeitstrafen, gäbe es weniger Gelb-Rote Karten – und weniger Lamentieren.

Aber dass sich der Fußball nur wenig von anderen Sportarten abschaut, ist ja bekannt. In seiner elitären Arroganz des milliardenschweren Business und in einer “Wir-wissen-alles-besser”-Mentalität derjenigen, die alles außer Fußball als zweitklassigen Sport ansehen, wurde ja auch schon der Videobeweis zu einem absurden Hilfsmittel verballhornt. Statt sich an anderen Sportarten zu orientieren und das Beste aus allen Welten im Fußball zu vereinen, stolpert man lieber von einer Peinlichkeit in die nächste. Statt ein Problem zu lösen, schafft man Gründe für neuerliche Diskussionen. Hitzig geführt und im Zweifel respektlos. Auch so bleiben die Emotionen erhalten.

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