Seit Oktober 2020 sind Ho-Yeon Kim und Christian Hoheisel Vorsitzende des Mitgliederrates. In der Woche der ersten rein virtuellen Mitgliederversammlung des 1. FC Köln stellte das Duo im Gespräch mit dem GEISSBLOG.KOELN die aktuellen Probleme des Vereins aus Sicht des Mitgliederrates dar. Zudem sprachen die beiden Vorsitzenden eine klare Wahl-Empfehlung für Carsten Wettich aus.
Das Interview führte Marc L. Merten
GBK: Der 1. FC Köln hat sich in den letzten Wochen und Monaten nach außen hin weder geschlossen noch mit einer klaren Richtung präsentiert. Es tobt ein Machtkampf, und das in der wohl schwersten wirtschaftlichen Krise des Klubs. Wie bewertet der Mitgliederrat diese Situation?
CHRISTIAN HOHEISEL: „Dafür gibt es eine Vielzahl an Ursachen. Die Corona-Krise hat dazu geführt, dass Verein und Fans nur schwer im Dialog bleiben konnten. Dazu merkt man, dass dem Verein und dem Vorstand ein Medienchef fehlt, der durch die Krise manövriert. Gerade in einer Zeit, in der auch viele Störfeuer von außen kommen. Diese Störfeuer dürfen aber keine Entschuldigung für die eigene Kommunikation mit den Mitgliedern sein. Wir müssen nach vorne schauen und uns da verbessern.“
Nach vorne schauen bedeutet aber auch zu analysieren, was schlecht gelaufen ist. Nehmen wir die von Ihnen angesprochene Kommunikation mit den Mitgliedern. Die hat derart gelitten, dass kaum vorhersehbar ist, was am Donnerstag auf der Mitgliederversammlung passieren wird.
HO-YEON KIM: „Das stimmt. Es hat phasenweise eine unzureichende Kommunikation gegenüber den Mitgliedern gegeben. Das haben wir aus dem Mitgliederrat auch beim Vorstand angemahnt. Es hatte eigentlich gut angefangen, dass man von Mitglieder-Stammtischen weggegangen ist, hin zu Townhall Meetings. Dann kam Corona. Der Klub hat die Kommunikation zwar virtuell weitergeführt, es aber nicht geschafft, damit alle zu erreichen. Der Vorstand hat sich in die wirtschaftliche Arbeit zur Rettung des Vereins gestürzt und das sehr gut gemacht. Es hat nur draußen niemand mitbekommen.“
Trotzdem hatte man selbst beim Mitgliederstammtisch vor einer Woche nicht das Gefühl, anschließend wirklich zu wissen, was in den letzten Monaten passiert ist. Es blieb sehr an der Oberfläche, blieb bei Worthülsen, einfachen Erklärungen ohne wirkliche Tiefe.
KIM: „Diesen Eindruck vom Mitgliederstammtisch teile ich nicht. Wir haben anderes, positives Feedback von den Mitgliedern erhalten. Und die Tiefe, dieser deep dive kommt auf der Mitgliederversammlung. Dann werden Vorstand und Mitgliederrat berichten, was seit Herbst 2019 passiert ist. Das ist ein sehr langer Zeitraum, der auch der Corona-Krise und der verschobenen Mitgliederversammlung geschuldet ist. Deswegen ist jetzt auch das Ziel in kürzeren Abständen zu kommunizieren.“
Die Mitglieder sollen ihre eigenen Ideen einbringen
Nehmen wir den Begriff „deep dive“ auf. Den würden sich viele Mitglieder wünschen. Aber wie realistisch ist das im Rahmen einer Mitgliederversammlung? Wie soll alleine ein Sieben-Jahres-Plan an einem einzigen Abend erklärt werden, wenn so viele andere Tagesordnungspunkte und Wahlen auf dem Programm stehen?
HOHEISEL: „Natürlich kann man den Mitgliedern den Plan nicht in epischer Breite vorstellen, aber die Mitgliederversammlung soll dazu dienen, eine Art Startpunkt zu markieren. Wichtig ist erst einmal, dass eine Strategie erarbeitet wurde. Damit geben wir dem FC eine Struktur.“
KIM: „Es darf keine Elfenbeinturm-Strategie sein. Sie soll den Mitarbeitern am Geißbockheim ein Ziel und einen Rahmen geben, an dem sie gemessen werden können. Und den Mitgliedern soll sie nach der Versammlung in gemeinsamen Treffen und Diskussionen nähergebracht werden. Der Mitgliederrat will, dass unsere Mitglieder die Chance bekommen, ihre eigenen Ideen in dieses Konzept einzubringen.“
Wie soll das gelingen?
KIM: „Der Vorstand soll die Mitglieder einladen, um sich gemeinsam zu treffen und über einzelne Themen der Strategie zu diskutieren. Nicht jedes Mitglied interessiert sich für jedes Thema der Strategie. Aber man könnte in Zukunft im Rahmen von Heimspielen z.B. zu Diskussionsrunden einladen. Je nachdem kann man dann mehrere Stunden zu einem konkreten Thema diskutieren und anschließend das Spiel besuchen. Solche Formate brauchen wir, um die Mitglieder mitzunehmen. Dafür braucht es natürlich wieder Heimspiele mit Zuschauern.“
Zeitlich näher als Heimspiele vor Zuschauern ist die virtuelle Mitgliederversammlung. Was erwarten Sie von dem Abend?
HOHEISEL: „Dass Carsten Wettich zum Vizepräsidenten gewählt wird. Darüber hinaus weiß niemand, wie das virtuelle Format wirklich angenommen wird, wie viele Menschen dabei sein und auch stundenlang dabeibleiben werden. Ich glaube, dass es eine sehr anstrengende Veranstaltung wird und glaube nicht, dass die Menschen das noch mal so werden erleben wollen. Ich glaube nicht, dass die Präsenzveranstaltung verschwindet.“
Man teilt sich nicht auf Augenhöhe aus
Darum geht es ja auch nicht. Niemand will die Präsenzveranstaltung abschaffen. Es liegen zwei Anträge auf Satzungsänderung vor, die lediglich fordern, dass es künftig zusätzlich zur Präsenzveranstaltung auch immer die Möglichkeit gibt, virtuell von zuhause aus teilzunehmen, wenn man nicht vor Ort sein kann.
HOHEISEL: „Ich halte es für sehr problematisch, wenn Teile der Mitglieder vor Ort und Teile zuhause am Bildschirm sind. Man teilt sich nicht auf Augenhöhe aus.“
KIM: „Der Austausch untereinander ist in meinen Augen elementar für eine Mitgliederversammlung. Viele Mitglieder, auch aus Sachsen, Thüringen oder Süddeutschland, kommen zu 17 Heimspielen. Für die ist die Mitgliederversammlung das 18. Heimspiel. Damit haben sie die Möglichkeit sich mit anderen Mitgliedern auszutauschen, auch mit Menschen, mit denen man sich sonst nicht austauschen würde. Ein lebendiger Verein lebt genau von diesem Austausch. Dieser würde verloren gehen.“
Aber muss dieser lebendige Austausch nicht für das ganze Jahr gelten und nicht nur für den Tag der Mitgliederversammlung? Wäre es nicht die Aufgabe des Vereins, diesen Austausch über das gesamte Jahr aufrecht zu erhalten, damit sich die Mitglieder jederzeit eine Meinung bilden können und nicht nur einmal im Jahr zur MV?
HOHEISEL: „Dafür müssten wir in der Tat die nötigen Kanäle schaffen. Das haben wir auch vor. Wir müssen viel mehr Aktivitäten schaffen, um die Mitglieder einzubinden. Dann hätten wir eine ganz andere Bewusstseinsebene für die Themen.“
Müssen schauen, was das beste für den FC ist
Kommen wir zur womöglich zentralen Wahl der Mitgliederversammlung. Carsten Wettich soll bestätigt werden. Spricht der Mitgliederrat eine Wahlempfehlung aus?
KIM: „Es gab im Mitgliederrat ein klares Votum für Carsten, weshalb es eine klare Wahlempfehlung von unserer Seite gibt.“
Die Vereinigung „100% FC – Dein Verein“ hat dagegen überraschend deutlich erklärt, Carsten Wettich nicht zu unterstützen und dazu aufgefordert, ihn nicht zu wählen.
HOHEISEL: „Das bedauern wir sehr. Ich halte es auch für falsch. Erstens, weil der Vorstand dann weiter unvollständig bliebe und erneut interimsweise komplettiert werden müsste. Zweitens, weil der Vorstand dann erneut einen neuen Kollegen einarbeiten müsste. Ich sehe nur einen Minderwert, zumal Carsten Wettich inhaltlich für genau das steht, wofür ‚100% FC‘ steht. Für diejenigen, die mit dem jetzigen Vorstand nicht einverstanden sind, gibt es die Möglichkeit, nächstes Jahr ein neues Team zu nominieren.“
KIM: „Die Wahl von Carsten Wettich ist eine Zukunftswahl. Wir müssen darauf schauen, was das Beste für den FC ist bis zur nächsten Vorstandswahl 2022. Carsten ist eingearbeitet, kennt die aktuellen Themen sehr gut und verfolgt mit seinen Vorstandskollegen die Lösung der Probleme.“
Was wäre denn, wenn er nicht gewählt würde?
KIM: „Dann müsste sich eine neue, vom Mitgliederrat entsandte Person in diese Themen einarbeiten und versuchen, das Tempo zu gehen, was Carsten jetzt schon geht. Ob man sich auf die Suche nach Personen macht, die es vielleicht noch besser können oder andere Qualifikationen haben, ob der Mitgliederrat ein anderes Vorstandsteam nominieren soll – diese Diskussion können wir für die Mitgliederversammlung 2022 führen. Jetzt ist in unseren Augen aber nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Unsere aktuellen Probleme – die Pandemie zu überstehen, die sinkenden TV-Einnahmen, die Zuschauer wieder für das Stadionerlebnis begeistern, der Kaderumbruch – sind Carsten bestens bekannt, und er arbeitet mit an der Bewältigung.“
Versteht der Mitgliederrat die Kritik am Vorstand eigentlich auch als Kritik an sich selbst, weil der Mitgliederrat ja diesen Vorstand ausgewählt hat?
HOHEISEL: „Ich würde das nicht so auslegen. Der Vorstand ist dazu da, die Arbeit zu machen, für die er gewählt wurde. Ob er das macht oder nicht, müssen wir als Mitgliederrat beobachten und kritisch hinterfragen. Mit dem frühen Ausscheiden von Jürgen Sieger konnte niemand rechnen. Wir haben Carsten Wettich nachnominiert, um weiterhin einen strategisch denkenden Vizepräsidenten in dieser Position zu haben.“
Würde dem FC im nächsten Jahr eigentlich ein Wahlkampf guttun, um den schwelenden Richtungsstreit offen zu führen?
HOHEISEL: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Eine Hilfe für den FC wäre es, wenn wir 2022 in der Post-Corona-Phase in eine sachliche Diskussion um die Zukunft des Klubs einsteigen würden. Und da gibt es in meinen Augen nur zwei Wege: Entweder gehört der Klub weiter den Mitgliedern oder der Klub wird verkauft, Investoren übernehmen, die Mitglieder wären raus und der FC würde eine leere Hülle.“
Ist das nicht Schwarz-Weiß-Denken? Es gibt ja auch noch einen dritten Weg. Eintracht Frankfurt hat circa 32 Prozent an private und institutionelle Geldgeber verkauft, die teilweise seit Jahrzehnten Freunde, Unterstützer und Sponsoren des Klubs sind. Die machen die Eintracht nicht zu einer seelenlosen Hülle.
KIM: „Ich verfolge das Projekt bei der Eintracht intensiv. Die Eintracht hat das Geld erst zur Rettung und jetzt für Infrastruktur-Projekte genutzt. Auch beim FC gibt es viele, die sagen: Für Steine könnten sie sich das vorstellen, aber nicht für Beine, also für Spieler. Die Frage ist: Haben wir beim FC ein Infrastruktur-Projekt, für das wir unsere Anteile verkaufen sollten? Geißbockheim, Stadion – darüber werden wir diskutieren. Wichtig ist, dass wir vorher den Weg diskutieren und nicht bereits im Vorfeld Fakten schaffen.“
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