Beim 1. FC Köln hat am Sonntagabend bei weitem nicht alles, aber am Ende doch vieles zusammengepasst. Vor 16.500 Zuschauern lieferten die Geißböcke ein mitreißendes und über weite Strecken begeisterndes Spiel ab. Dabei brach Steffen Baumgart einen jahrelangen Fluch, Florian Kainz erlebte ein Déjà-vu, Dejan Ljubicic sein ganz persönliches Duell und der FC hatte endlich mal nichts gegen den VAR auszusetzen. Die Lehren des Spiels.
Aus Müngersdorf berichten Sonja Eich und Marc L. Merten
Geschichte des Spiels: Das Stadion in Müngersdorf hat am Sonntagabend gebebt wie lange nicht mehr. Dafür verantwortlich waren die Spieler des 1. FC Köln. Denn während sich in Köln häufig die Energie von den Rängen auf die Mannschaft übertragen kann, war es am ersten Spieltag der neuen Saison genau andersrum. Erst, als der der FC den Mut gefunden hatte, das von Baumgart geforderte Offensivspiel auch richtig anzuwenden, machte das zu einem Drittel gefüllte Stadion Lärm wie sonst 50.000. Dabei ist Steffen Baumgart bei seinem Bundesliga-Debüt als FC-Trainer etwas gelungen, was zuvor acht Trainer nicht geschafft hatten. Denn erstmals seit dem 1:0-Auftaktsieg von Uwe Rapolder gegen den 1. FSV Mainz 05 im Jahr 2005 hat kein neuer FC-Trainer mehr sein erstes Bundesligaspiel gewinnen können. An diesem Sonntagabend, 16 Jahre später, hat schließlich wieder alles gepasst: Die Rückkehr der Fans, das Wetter, der Fußball auf dem Rasen und letztlich auch das Ergebnis mit Trainer Steffen Baumgart.
Spieler des Spiels: In der ersten Hälfte wollte ihm noch nicht viel gelingen. Gerade die Flanken von Florian Kainz fanden in den ersten 45 Minuten selten ihr Ziel. Doch mit dem zweiten Durchgang drehte der Österreicher auf und erzielte binnen drei Minuten seinen zweiten Bundesliga-Doppelpack – zum zweiten Mal dabei gegen die Hertha aus Berlin. Dadurch avancierte der Flügelspieler zum Matchwinner und reiht sich nun vorerst in der Torjägerliste ganz vorne ein.
Das Ergebnis: So richtig trauen wollten die Zuschauer dem Braten am Sonntag bis in die Schlussphase nicht. Trotz komfortabler 3:1-Führung war man sich bis zum Schluss nicht so richtig sicher, ob die Geißböcke den Erfolg auch über die Ziellinie bringen würden. Das lag aber weniger an der Art und Weise, wie der FC in dieser Phase Fußball spielte. Zum Zweifeln gaben die Kölner eigentlich überhaupt keinen Anlass, schließlich kamen die Berliner in den letzten Minuten kaum noch an den Ball. Doch der 1. FC Köln wäre nicht der 1. FC Köln, wenn er solch einen Vorsprung nicht schon einmal spät verspielt hätte. Denn wie oft haben die Kölner in den vergangenen anderthalb Jahren ein Spiel mit zwei Toren Unterschied gewonnen? Klar, es gab das 5:1 im Relegationsrückspiel gegen müde Kieler. Dann konnte der FC im Jahr 2020 noch ein halbwegs souveränes 3:1 gegen Arminia Bielefeld einfahren. Doch davor? Da müssen wir schon auf den 29. Februar 2020 zurückblicken, als der FC – damals letztmalig vor vollem Haus – gegen Schalke 04 mit mehr als einem Tor Unterschied gewinnen konnte (3:0).
Szene des Spiels: So dürfte sich Steffen Baumgart das Spiel des FC vorgestellt haben: Durch ein beherztes Pressing in der gegnerischen Hälfte eroberte Rafael Czichos vor dem 2:1 gegen Cunha den Ball und leitete damit die Kölner Führung ein. Danach brauchte es nur noch vier Ballkontakte, ehe die Kugel hinter Schwolow durch den Kopfball von Florian Kainz im Tor einschlug. Als Belohnung bekam Baumgart, der mit seinem Spielstil überhaupt erst so einen Treffer möglich gemacht hatte, vom Vorbereiter Modeste prompt den Inhalt seiner Wasserflasche ins Gesicht gespritzt. Nach solch einem Tor nahm es der Trainer mit Humor.
Duell des Spiels: Steffen Baumgart hatte gegen die Hertha eine Idee, die im Vorfeld einige überraschte – nicht zuletzt Dejan Ljubicic selbst. Der Neuzugang hatte nach 120 Minuten gegen Jena auf der Bank im ersten Bundesliga-Spiel in der Startelf gestanden und dabei einen ganz klaren Plan mit auf den Weg bekommen: Kevin-Prince Boateng nerven und im besten Fall aus dem Spiel nehmen. Und das schaffte der Österreicher mit Bravour: Mal auf der Zehn, mal auf den Halbpositionen oder auf der Sechs – Ljubicic war überall zu finden, vor allem da, wo auch Boateng war. Bis der Berliner Neuzugang in der 59. Minute ohne Einfluss auf das Spiel ausgewechselt wurde.
Pfiff des Spiels: Zwei Mal hatte sich der VAR am Sonntagabend eingeschaltet, zwei Mal ging es dabei um Entscheidungen, die zu Ungunsten des FC hätten ausfallen können. Doch der Kölner Keller war an diesem Abend auf Seiten der Geißböcke. Beim vermeintlichen Handspiel von Rafael Czichos entschied Schiedsrichter Robert Hartmann nach Ansicht der Fernsehbilder (nach den neuen Regeln korrekterweise) nicht auf Elfmeter für Berlin. Beim Ausgleich von Anthony Modeste schaute sich der Video-Assistant-Referee Markus Schmidt den Treffer ebenfalls länger an – entschied dann aber erneut für den FC – und lag damit richtig. Trotzdem hatten die Kölner damit auch in der ein oder anderen Situation jenes Glück, das ihnen in der vergangenen Saison häufig verwehrt worden war.
Zitat des Tages: “Der FC hat verdient gewonnen, war in allen Belangen besser. Das war ein Blitzschlag für uns.” (Hertha-Trainer Pal Dardai)
Zahl des Tages: 16.500. So viele Zuschauer konnten 533 Tagen nach dem letzten ausverkauften Heimspiel im RheinEnergieStadion den ersten Saisonsieg der Geißböcke live vor Ort bejubeln. Zwar war das Stadion damit lediglich zu einem Drittel gefüllt, doch selbst die vergleichsweise wenigen Zuschauer ließen am Sonntag das Gefühl der Normalität ein Stück weit zurückkehren.
Erkenntnis des Spiels: Der 3:1-Erfolg war nach einer elend langen und schwierigen letzten Saison mit nur drei Heimsiegen Balsam für die FC-Seele. Auch wegen des bevorstehenden Spiels gegen den FC Bayern dürften die drei Punkte für Ruhe am Geißbockheim sorgen. Zwar hatte die Hertha am ersten Spieltag auch bei weitem nicht den besten Tag erwischt, doch am Ende wird den Kölnern das egal sein. Denn der Sieg hatte letztlich auch noch eine ganz andere Bedeutung: Durch den Erfolg dürften die Spieler auch das Gefühl bekommen haben, dass das von Baumgart geprägte System in der Bundesliga funktionieren kann – wenngleich es auch noch reichlich Luft nach oben gibt. Während die Überzeugung und der der Glaube an die eigenen Stärken nach saisonübergreifend 18 sieglosen Spielen unter Markus Gisdol im vergangenen Jahr immer weiter gesunken war, dürfte der FC mit dem Auftaktsieg nun mit breiter Brust in die kommenden Aufgaben gehen.
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