Stephan Schell steht seit zehn Jahren in der FC-Kurve auf dem Zaun. (Foto: Ligafoto)

Seltenes Interview: FC-Capo Schell spricht über den FC

[nextpage title=”Rassismus ist auch ein Problem der Kurven”]

Stephan Schell ist seit zehn Jahren Vorsänger in den Kurve des 1. FC Köln und eines der Gesichter der aktiven Fanszene. Dass sich das Mitglied der Wilden Horde medial äußert, gehört zu den Ausnahmen. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hat er nun eine solche gemacht und über die Ultra-Szene, den Dialog mit dem FC und ein zentrales, gesellschaftliches Problem gesprochen.

Köln – In den Gesellschaftswissenschaften gilt längst: Der Fußball in Deutschland ist ein verlässlicher Indikator für gesamtgesellschaftliche und politische Entwicklungen in der Bundesrepublik. Der erbitterte Kampf der Entfremdung im Mikrokosmos Fußball zwischen Basis und Verband gehört dazu, ähnlich wurde der hässliche Vorfall in Köln-Bocklemund nach dem Spiel des FC gegen Union Berlin bewertet.

Am Freitag äußerte sich nun Stephan Schell zu diversen Entwicklungen in der deutschen und der Kölner Fanszene. Dabei verwies er auf ein grundlegendes Problem und verwies auf die Geschehnisse der letzten Wochen in Ostdeutschland, insbesondere in Chemnitz. “Rassismus ist ein Problem in der Gesellschaft und so auch ein Problem der Kurven”, mahnte Schell und machte damit deutlich: Auch im deutschen Fußball darf Rassismus nicht heruntergespielt werden. “Die Bilder (aus Chemnitz) machen fassungslos”, sagte Schell und erklärte: “Auch in Köln sieht man Tendenzen.”

Die Entwicklung geht an einer Fankurve nicht spurlos vorbei

Als einflussreiches Mitglied der aktiven Fanszene des 1. FC Köln und als Vorsänger der Ultras spürt Schell offenbar gefährliche Tendenzen, denen er sich “in jedem Fall” immer aktiv entgegen stellen werde, wie Schell deutlich machte. Er deutete aber auch an, dass der Einfluss der Ultras in der Kurve ihre Grenzen habe. “Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung geht natürlich auch an einer Fankurve nicht spurlos vorbei.”

Der 1. FC Köln hatte zuletzt nicht mit Rassismus-Problemen in der Kurve zu kämpfen. Allerdings hatte es in den letzten Jahren in den sozialen Netzwerken auch rechtsradikale Äußerungen in Richtung der Geissböcke gegeben – auch von FC-Fans und -Mitgliedern – nachdem der Effzeh bekannt gegeben hatte, Flüchtlinge ins Stadion einzuladen. Es hatte daraufhin einige wenige Vereinsaustritte gegeben, die der FC jedoch anschließend mit deutlichen Worten begrüßt hatte. Daraus war keine Tendenz zum Rassismus abzulesen. Doch Schells Aussagen mahnen zur Wachsamkeit.

[nextpage title=”Distanzierung von Gewalt? Das wäre nicht ehrlich”]

Manche Sympathien müssen wir wohl nicht mehr verspielen

Über die gesellschaftlichen Entwicklungen hinaus äußerte sich der 38-Jährige in dem Interview zu diversen Problemen und Konflikten zwischen der Ultraszene, dem FC und dem Deutschen Fußball-Bund. Dabei gestand Schell ein, dass einige Vorfälle und Aktionen in den letzten Monaten und Jahren viel Kredit aufs Spiel gesetzt hätten. “Manche Sympathien müssen wir wohl nicht mehr verspielen”, sagte Schell mit einem Schuss Zynismus und erklärte, die FC-Ultras müssten “aufpassen, dass wir den Bogen nicht überspannen, uns aber auch nicht verbiegen. Zugegeben ist das ein Balanceakt, den wir nicht immer hinbekommen haben.”

Verbale Ausfälle gegenüber Ron-Robert Zieler oder der beschämende Auftritt in der Europa League in Belgrad hatten die Ultras schwer in Verruf gebracht. Dazu kam es immer wieder zu Konflikten, weil Ultras und Klub Aktionen wie den Einsatz von Pyrotechnik, Spruchbanner oder Vorkommnisse auf Auswärtsreisen unterschiedlich bewerteten. So bestätigte Schell, dass “Pyrotechnik für uns in Maßen dazugehört”. Es gehöre lediglich nicht dazu, Pyrotechnik gefährlich einzusetzen. “Auch Böller zu zünden, finden viele von uns gut, aber das machen wir nicht”, sagte Schell, wissend, dass der FC in den letzten Jahren immer wieder Strafen hatte zahlen müssen, weil Böller aus der Fankurve in Richtung Spielfeld geworfen worden waren.

Distanzierung von Gewalt? “Das wäre nicht ehrlich”

Zuletzt stand ein weiteren Vorwurf wieder im Fokus: Gewalt. Nach den Vorfällen von Köln-Bocklemünd und dem Überfall auf den Union-Bus wurden mehrere FC-Mitglieder aus dem Verein ausgeschlossen. Unter den Verhafteten waren auch Ultras gewesen. Doch auch darüber hinaus hatte es in den letzten Monaten immer wieder Vorfälle auf Auswärtsfahrten gegeben. Alleine in der vergangenen Rückrunde war es unter anderem in Hamburg und Frankfurt zu Ausschreitungen außerhalb des Stadions gekommen.

Schell erklärte auf die Frage, warum sich Ultras nicht von Gewalt distanzieren würden: “Das wäre einfach, aber das wäre nicht ehrlich. Ich kann nicht ausschließen, dass irgendwo was passiert und Leute dabei sind, die sich Ultra auf die Fahne schreiben. Ultra sein bedeutet auch, an Grenzen zu kratzen – und damit geben wir ein komfortables gesellschaftliches Feindbild ab.” Zwar könne er als Vorsänger oder könnten andere führende Ultras in den einzelnen Gruppierungen und in der Kurve “auf die Leute einwirken, wenn wir das wollen”. Doch das Selbstbild des Ultras sei ein anderes: “Gewalt ist keine Pflicht als Ultra. Aber die Auseinandersetzung mit anderen Gruppen ist ein Teil von Ultras. Das kann man verurteilen oder auch nicht – ändert aber nichts am Zustand.”

[nextpage title=”Heute rütteln sie am Stadion, morgen an den Vereinsfarben, übermorgen am Logo”]

Zum FC gehen die Zuschauer nicht für guten Fußball

Auch am Zustand des offenen Bruchs zwischen Ultras und Vorstand hat sich in den letzten Monaten nichts geändert, wie Schell bestätigte. Nachdem Präsident Werner Spinner in den ersten Jahren seiner Amtszeit noch als großer Fürsprecher der Ultras galt und von der Südkurve positiv bewertet wurde, ist der Vorstand inzwischen zum Feindbild der Ultras geworden. Die Gründe für Schell und seine Mitstreiter sind vielfältig: die Praxis der Stadionverbote, das Zusammenspiel aus DFB-Strafen und Inregressnahme durch den FC, der Umgang mit Fans und Mitgliedern, aber auch das Thema Investoren. Zu letzterem gab sich Schell unzweideutig.

“Ich glaube, die Menschen gehen zum FC, weil es authentisch ist, weil sie sich mit ihrem Verein identifizieren. Vereine, die noch ihren Mitgliedern gehören, machen den Fußball aus. […] Wir wählen den Präsidenten, der ernennt den Geschäftsführer, der holt die Spieler. In Köln haben die Mitglieder noch viel zu sagen.” Und das solle ohne Wenn und Aber so bleiben. Bei Spinner, erklärte Schell, habe er diese Sicherheit aber verloren.

Tiefes Misstrauen gegenüber dem Vorstand

“Dass es in Köln irgendwann mal Leute gibt, die die Idee haben, das Müngersdorfer Stadion woanders hinzusetzen, das hätte ich nicht gedacht. Heute rütteln sie am Stadion, morgen an den Vereinsfarben, übermorgen am Logo. So was können wir nicht akzeptieren und befinden uns unter anderem auch daher mit der eigenen Vereinsführung im Streit.” Für Schell und viele andere FC-Fans gehe es nicht darum, irgendwann mal wieder Deutscher Meister zu werden. Zumindest nicht, wenn dies mit dem Verkauf der Identität einher gehen sollte. “Du hast nichts davon, wenn der 1. FC Köln dann nicht mehr 1. FC Köln heißt, oder nicht mehr in Müngersdorf spielt. Ich möchte ja auch in meinem Leben nicht Erfolg um jeden Preis.”

Das gesamte Interview finden Sie hier.

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