Videoanalyst Hannes Dold (re.) im Gespräch mit Markus Gisdol. (Foto: Bopp)

Die Vermessung der Fußballwelt

Hannes Dold und Denis Huckestein gehören zu jenem Teil der Profiabteilung des 1. FC Köln, der nur allzu selten in der Öffentlichkeit steht. Das Duo arbeitet als Videoanalysten bei den Geißböcken. In einer immer stärker datengetriebenen Sportart liefern sie dem Trainerteam objektive Grundlagen für die tägliche Trainingsarbeit, vor allem aber für die Vor- und Nachbereitung der Spiele. Ein Blick in eine Welt, die nur wenig von ihren Geheimnissen preisgibt.

Köln – Hannes Dold und Denis Huckestein hatten am Samstag einen überraschend freien Tag. Eigentlich hätten sie das Testspiel des 1. FC Köln gegen den KFC Uerdingen mit statischen Kameras sowie einer Drohne aufgenommen. Darüber hinaus hätte Dold auf der Tribüne des Franz-Kremer-Stadions vor den Live-Bildern am Laptop gesessen und diese parallel zum Spiel aufbereitet. Eine normale Analyse, wie sie inzwischen bei jedem Bundesligisten zum Standard gehört.

Dold ist seit 2014 beim FC. Der Absolvent der Sporthochschule hat sich vom Praktikanten zum festangestellten Videoanalysten hochgearbeitet. Seit anderthalb Jahren wird er von Huckestein unterstützt. Während der aktuellen Vorbereitung liegt ihr Fokus vor allem auf der Umsetzung der Spielideen, die das Trainerteam von Markus Gisdol für die neue Saison entwickelt hat. “Wir schauen uns die Trainingsinhalte an, um zu verstehen, wie sich die Mannschaft entwickelt und die Themen umsetzt, die das Trainerteam vorgibt”, sagt Dold im Gespräch mit dem GEISSBLOG.KOELN. Der 27-jährige und sein zwei Jahre älterer Kollege nehmen dafür alle Trainingseinheiten auf und analysieren sie anschließend auf die Kernelemente der Übungen. “Die Testspiele sind in einer Vorbereitung dann ein Gradmesser für das, was wir trainiert haben.”

Spielanalyst und Psychologe

Dold und Huckestein sind dabei ein Puzzleteil des Gesamtbildes, das sich aus den Eindrücken des Trainers, der Assistenztrainer und möglicher Vor-Ort-Beobachter bei Gegneranalysen ergibt. “Aus all diesen Beobachtungen entsteht am Ende eine gemeinsame Idee, wie man trainieren und wie man gegen einen Gegner spielen will”. In diesem Sommer haben die Videoanalysten erstmals die Chance, sich mit Gisdol und Co. über einen längeren Zeitraum einer Spielidee zu nähern. Ähnlich wie die Mannschaft müssen auch die Videoanalysten im Moment eines Trainerwechsels immer erst lernen und verstehen, was ein neuer Cheftrainer benötigt, welche Schwerpunkte er setzt, wie wichtig ihm einzelne Informationen wirklich sind. Die zahlreichen Trainerwechsel beim FC seit 2017 haben Dold daher nicht nur zu einem Spielanalysten, sondern zu einer Art Psychologen werden lassen. “Wir Analysten müssen gucken, dass wir uns auf die Trainer einstellen. Jeder Trainer hat eine andere Sicht auf den Fußball, eine andere Philosophie.”

Während einer Saison sind die Abläufe klar geregelt: die Analyse des nächsten Gegners, die Planung spezifischer Trainingsinhalte für das bevorstehende Spiel, die Vorbereitung einzelner Spieler auf ihre nächsten Gegenspieler, die Live-Analyse des Spiels inklusive Halbzeit-Videos sowie die Nachbereitung des absolvierten Spiels, individuell mit den Spielern und mannschaftstaktisch mit Trainern und Team. Ein bis zwei Tage dauert es in der Regel, eine Partie nachzubereiten. Das übernimmt meist Dold. Parallel dazu bereitet Huckestein die wichtigsten Spielszenen des nächsten Gegners bereits vor und gliedert die entscheidenden Abläufe in verschiedene Spielphasen. Dann steigt das Duo gemeinsam in die Analyse ein. “Diese Prozesse sind sehr arbeitsaufwendig”, sagt Dold. “Deswegen arbeiten wir datenbasiert mit Positions-, Event- und physischen Daten.”

Was eine Passquote wirklich aussagen kann

Früher sezierte man ein Spiel noch händisch in unterschiedliche Phasen, schnitt Spieleröffnungen, den Spielaufbau und die -fortsetzung auseinander, Beispiele für hohes und tiefes Pressing sowie Umschaltmomente und Standards. Heute werden diese Sequenzen durch Daten und eine Software bereits vorgefiltert angeliefert. Positionsdaten zeigen die Bewegungen einzelner Spieler an und werden durch physische Daten in Form von Geschwindigkeitsbereichen (Sprints, Tempoläufe) ergänzt. Eventdaten umfassen Pässe, Zweikämpfe, Kopfbälle, Torschüsse. “Dieser Datenpool macht unsere Arbeit effizienter. Natürlich sind Spiele in voller Länge nach wie vor die Basis unserer Arbeit. Wir sind aber heute mit modernster Software in der Lage, viel schneller die aus unserer Sicht entscheidenden Spielmomente zu sammeln und so noch mehr ins Detail zu gehen.”

Am Laptop will Dold seine Analysen niemandem zeigen. Neben der Scouting-Abteilung wird um keinen anderen Bereich im Profifußball ein größeres Geheimnis gemacht als um die Spielanalyse. Auch, weil die Komplexität und die Möglichkeiten extrem zugenommen haben und jedes Analyseteam eigene Ansätze gewählt hat aus dem Datensalat die richtigen Schlüsse zu ziehen. “Das ist das Schwierigste”, gesteht Dold und erklärt den großen Unterschied zwischen früheren Datensätzen und heutigen Details anhand der Passquote. “Die Passquote an sich sagt relativ wenig aus. Wenn du einen Innenverteidiger mit 95 Prozent Passquote hast, sagt dir das zwar, dass derjenige wohl ein recht gutes Passspiel hat, aber nicht, wohin er die Bälle spielt. Spielt er sie quer oder nach hinten oder vermehrt nach vorne? Wenn du aber weißt, wie viele Pässe er von den 95 Prozent nach vorne zwischen die Linien gespielt hat, um einen Angriff einzuleiten, weißt du auch etwas über seine Spielweise. So wird aus eindimensionalen Daten die Analyse eines Spielers. Deswegen ist die Verknüpfung der unterschiedlichen Datensätze so wichtig.”

So funktioniert die Analyse einer Spielszene

Im Computerprogramm Matchtracker von SBG Sports Software kann sich Dold somit beispielsweise ein Analyseboard mit allen Abstößen des gegnerischen Torwarts anlegen: Videofenster mit beispielsweise der Hintertorkamera, dazu Datensätze mit allen ausgeführten Abstößen eines Spiels sowie einem Spielfeld, auf dem alle Abstöße eingezeichnet und per Mausklick als Video abrufbar sind. So beginnt die Analyse, was der Gegner bei einem Abstoß macht, wie er sich positioniert, bewegt und welche Spielfortsetzung sich daraus entwickeln kann. “Es beginnt schon bei der Frage, wie viele Abstöße der Torhüter nach links und wie viele nach rechts spielt – und warum”, sagt Dold.

Während der Spiele ist Dold inzwischen live mit der Trainerbank verbunden und gibt per Funk die wichtigsten Erkenntnisse an einen der beiden Gisdol-Assistenten (Frank Kaspari oder André Pawlak) weiter. Seinen Posten auf der Tribüne räumt Dold in der Regel fünf Minuten vor dem Halbzeitpfiff, um die Videoanalyse in der Kabine vorzubereiten. Diese erfolgt nur selten ausführlich gegenüber der Mannschaft, sondern in den Momenten, in denen die Spieler erst einmal wieder Kraft sammeln, nur zwischen Videoanalyst und Trainerteam. “In der Halbzeit kommen wir kurz zusammen. Die Trainer sagen, was sie gesehen habe und ich, was mir von oben aufgefallen ist. Dann gucken wir uns ein paar Szenen an.” Nur manchmal wird der Mannschaft daraus etwas gezeigt. Oft transportiert Gisdol die Erkenntnis dann in kurzen Ansagen und taktischen Umstellungen ans Team.

Hoffenheim wegen Hoeneß eine Herausforderung

Die Vorbereitung auf die neue Bundesliga-Saison hat für Dold und Huckestein längst begonnen. Die ersten Gegner wurden bereits live beobachtet, nicht nur die Erstligisten, sondern auch der Pokalgegner aus Berlin. Neben den Videos der Testspiele erfolgt zusätzlich eine Live-Beobachtung durch Huckestein vor Ort. Gerade im Falle des ersten Liga-Gegners, der TSG Hoffenheim, ist die Arbeit der Videoanalysten von großer Bedeutung. Aufgrund des neuen Hoffenheimer Trainers Sebastian Hoeneß fehlen wichtige Erfahrungen aus der Vorsaison. Jedes Testspiel der Kraichgauer in der aktuellen Vorbereitung ist daher von Bedeutung. Der FC will bestmöglich vorbereitet sein. Nicht nur auf dem Rasen, sondern auch vor dem Videobildschirm.

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