Es gibt eine große Kämpferin für die Zukunft des deutschen Sports. Sie heißt Henriette R., lebt in Köln und bekleidet in der Domstadt ein hohes politisches Amt. Sie weiß, was eine Sportnation braucht, weil sie eine Sportstadt von internationalem Format geformt hat. Sie weiß auch, was die Jugend braucht, weil sie Jugendlichen in Köln längst all ihre Wünsche erfüllt. Und sie ist weithin bekannt als virtuelle Virtuosin. Daher auch ihr jüngster Gastbeitrag im kicker. Ja, im kicker.
Eine Glosse von Marc L. Merten
Ein Samstag in naher Zukunft, 15.30 Uhr, ein Wohnzimmer in Köln. Die beiden 60-Zoll-Flatscreens strahlen genauso wie ihre Besitzerin. Henriette R. fläzt nicht auf ihrem Sofa, sondern in ihrem schwarzen Secretlab TITAN Evo 2022, ergonomisch perfekt auf sie abgestimmt. Gespannt verfolgt sie das Geschehen live an ihren Bildschirmen.
Einen kurzen Blick schenkt sie den Logen-Tickets für das Heimspiel des 1. FC Köln gegen Borussia Dortmund, die unberührt auf dem Sideboard liegen. Sie überlegt, den zweiten Bildschirm auf Sky umzuschalten, zumindest auf die Konferenz. Doch plötzlich trifft Atomic für G2 – und Henriette R. zieht vor Begeisterung ihre Tastatur zu sich, um auf Twitch ihrem Jubel Ausdruck zu verleihen. Die Rocket League Championship Series sind eben doch viel spannender als diese Fußballspiele, wo sie vor Ort auch noch unangenehme Fragen von Fans und Klub-Verantwortlichen beantworten müsste.
Oper? Karneval? Geißbockheim? E-Sport!
Lieber lebt Henriette virtuell, taucht in ihre große Leidenschaft ein. Den E-Sport. Gerade erst hat sie einen Gastbeitrag geschrieben, in ihrer Funktion als Oberbürgermeisterin Kölns. Dabei ging es nicht um die Lösung des Milliarden-Grabs Schauspielhaus und Oper. Es ging nicht um den Kölner Karneval in der Brauchtumszone. Und auch nicht, Himmel hilf, um den Klimanotstand im Kölner Grüngürtel, wo dieser lokale Fußballklub seine schändlichen Kunstrasenplätze bauen will. Nein, es ging um den E-Sport in Deutschland.
Der Gastbeitrag erschien jüngst im Fachmagazin kicker in der Ausgabe vom 14. Februar 2022 auf Seite 95. Leider nur auf Seite 95, sie selbst hätte die Geschichte gerne als Aufmacher gesehen. Schließlich kommt nicht jeden Tag eine international derart geschätzte E-Sport-Expertin wie Henriette R. im kicker zu Wort.
Mit regulatorischen Hürden kennt sich die Henriette aus
In diesem Gastbeitrag hat sich die Politikerin dazu beflissen gefühlt, von “institutioneller Skepsis und regulatorischen Hürden” für den E-Sport in Deutschland zu sprechen. Mit “regulatorischen Hürden” kennt sie sich schließlich bestens aus, die Henriette. Sie spricht leidenschaftlich von verpassten Chancen für Jugendliche, ereifert sich, dass ein “erhebliches soziales und wirtschaftliches Potenzial vergeben” wird.
Und sie warnt davor, dass die Sportnation Deutschland Gefahr läuft, den Anschlusszug zu verpassen. Auch mit verpassten Anschlusszügen kennt sie sich schließlich aus, die Henriette. Auch mit Sportnationen oder Sportstädten. Köln ist ja schließlich eine solche. Dort blüht das sportliche Leben, vor allem für Jugendliche. Beste Bedingungen, wohin man blickt. Köln ist Vorbild, überall. “Als Sportnation müssen wir schon heute die Strukturen schaffen, um dem anhaltenden Negativtrend in den olympischen Medaillenspiegeln etwas entgegenzusetzen”, schreibt sie.
So geht Sportförderung. So geht Stadtplanung.
Wenn die Henriette könnte, würde sie den gesamten Sport in Köln auf E-Sport umstellen. Hauptsache, die Jugendlichen blieben dann endlich zuhause an ihren Rechnern, statt auf versiegelten Kunstrasenplätzen sich die Knochen zu brechen. So geht Sportförderung. So geht Stadtplanung. Wo keine Kinder mehr auf Sportplätzen, da werden auch keine Sportplätze mehr gebraucht. So geht Digitalisierung. So geht Problemlösung.
Als virtuelle Virtuosin und E-Sport-begeisterte Expertin weiß Henriette R., wie die Sportwelt der Zukunft aussieht. Vielleicht sollte der Deutsche Fußball-Bund auf der Suche nach einer neuen Führungsfigur im Stadthaus in Köln nachfragen. Wer sich derart weitsichtig äußert, frei von jeder Doppelmoral präsentiert und der einzig wahren Zukunft des Sports verschreibt, für die wäre die Rolle der Präsidentin im größten nationalen Sportverband der Welt gerade gut genug.
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