Warum ist der 1. FC Köln auf dem Transfermarkt nicht mehr ins Risiko gegangen? Im zweiten Teil des GEISSBLOG-Interviews spricht Christian Keller unter anderem über den Transfer-Sommer, den Kader und das bevorstehende CAS-Urteil.
Das Interview führten Sonja Gauer, Martin Zenge und Marc L. Merten
GEISSBLOG: Herr Keller, bei allen finanziellen Sorgen: Hätten Sie – gerade nach den Verlusten von Jonas Hector und Ellyes Skhiri – auf dem Transfermarkt nicht mehr ins Risiko gehen müssen?
CHRISTIAN KELLER: “Die finanzwirtschaftliche Situation des 1. FC Köln ist um einiges komplizierter als man sie gemeinhin darstellt. Als wir vor einem Jahr gesagt haben, wir sind ein Sanierungsfall, war das keine Rhetorik, um unseren Start als neue Geschäftsführung zu erleichtern. Damit wollten wir eine realistische Erwartungshaltung schaffen. Im ersten Jahr ging es wirklich um das nackte Überleben. Jetzt sind wir, aus einer finanzwirtschaftlichen Perspektive, zufrieden, dass wir uns selbst tragen, was davor nicht möglich war. Wir hätten auch sagen können: Wir ziehen erneut Sponsoring-Erlöse vor und verschieben die Probleme weiter – aber die Probleme werden dann immer größer. In so einer Sanierung ist das zweite Jahr meist noch schwerer als das erste.”
Dass der FC einen Gewinn von zwölf Millionen Euro erwirtschaftet und trotz der abgewanderten Leistungsträger nur einen geringen Anteil in neue Spieler steckt, wirft dennoch Fragen auf.
Von den zwölf Millionen Euro stammen, wie auf der Mitgliederversammlung dargestellt, ca. zehn Millionen aus der Conference League, ca. elf Millionen waren Transfer-Einnahmen und ca. 15 Millionen Gehaltseinsparungen. Das sind 36 Millionen Euro, und wenn ich diese von den zwölf Millionen Euro Gewinn abziehe, sind wir bei einem deutlich zweistelligen Minus – bei mehr als 20 Millionen Euro. Die Substanz, so etwas zu kompensieren, ist nicht mehr da. Unser Weg ist absolut notwendig. Unabhängig davon bin ich nicht so naiv, zu glauben, dass ich als sportlich Verantwortlicher nicht am Tabellenplatz, sondern an massiven Sanierungsschritten gemessen werde – aber ich bin nun mal auch Geschäftsführer. Die entscheidenden Sanierungsschritte kommen alle aus dem sportlichen Bereich, da haben wir den größten Hebel.
Sie wollten mit Hector und Skhiri verlängern. Woher hätten Sie das Geld hierfür genommen?
Dann hätten wir womöglich andere Verpflichtungen nicht getätigt. Doch letztlich ist das eine hypothetische Frage.
Nach GEISSBLOG-Informationen war der FC an einer Verpflichtung von Freiburgs Yannik Keitel interessiert, für den definitiv eine Ablöse fällig geworden wäre. Müsste also nicht doch noch Geld in der Transferkasse sein?
Über Namen werde ich nicht spekulieren. Mitunter wird auch falsch unterstellt, wer hier ablösefrei gekommen ist. Nehmen wir mal Jacob Christensen. Das war einerseits ein ablösefreier Transfer, andererseits aber ein internationaler Wechsel eines Spielers unter 23 Jahren. Bei solchen Spielern wird eine internationale Ausbildungsentschädigung im sechsstelligen Bereich fällig. Wir haben für den Spieler also bezahlt. Dafür sind andere Ablösesummen, die spekuliert werden, womöglich falsch. Wir haben für Jeff Chabot bei weitem keine 2,5 Millionen Euro bezahlt. Unterm Strich wären noch zwei, drei Millionen Euro da gewesen, aber mit dieser Summe hat man im aktuellen Wettbewerbsumfeld sehr wenig Handlungsspielraum. Ich weiß nicht, ob es einen Top-Spieler gibt, der diese Saison für drei Millionen Euro innerhalb der Bundesliga gewechselt ist.
Apropos Christensen: Sie hatten im Juni angekündigt, einen Sechser verpflichten zu wollen, „der direkt gutes Bundesliga-Niveau spielen“ kann. Wenige Tage später kam mit Christensen ein Spieler, von dem Sie sagten, er müsse sich „zunächst an die höhere Spielintensität anpassen“. Wie ist dieser Umschwung zu erklären?
Mit der Aussage zu Jacob Christensen wollte ich vermitteln: Das ist nicht der Spieler, den ich angekündigt habe. Damit tut man ihm Unrecht. Wir hatten nicht nur einen Spieler auf dem Zettel. Aber es gab einen Sechser, auf den es hinausgelaufen wäre, der sich dann allerdings anders entschieden hat.
Transfer geplatzt: Keller versteht Kritik
Das Szenario erinnert an die vergangene Saison: Damals kam mit Steffen Tigges ein Stürmer, der nicht als Ersatz für Anthony Modeste angedacht war, aber dessen Rolle übernehmen musste. Nun kam mit Christensen nur ein Sechser, der wiederum nicht als Skhiri-Ersatz eingeplant war.
Die Situation ist nicht zu vergleichen. Als Tony uns verlassen hat, war kein leistungsfähiger Stürmer auf dem Markt, der uns wirklich besser gemacht hätte und den wir hätten bezahlen können. In diesem Sommer gab es schon Sechser, die direkt konstantes Niveau hätten spielen können – die wir als fixe Größe und nicht als Entwicklungsspieler hätten holen können. Das ist nicht gelungen und dafür kann man mich kritisieren, das ist gerechtfertigt. Was ich hingegen nicht okay finde, ist, dass Jacob Christensen in die Rolle des gestandenen Sechsers gedrängt wird – das ist er noch nicht. Jacob ist ein junger, hoch talentierter Spieler, in dem wir viel Zukunft sehen.
Nach dem geplatzten Transfer: Wie sah die Planung auf der Sechs für die aktuelle Saison aus?
Wir haben Dejan Ljubicic auf der Sechs neben Eric Martel eingeplant und sehen uns dort gut aufgestellt – in dem Wissen, dass sich nicht viele Spieler verletzen dürfen. Mit den beiden haben wir einen stehenden Sechser und einen dynamischen, der viel nach vorne arbeitet. Zusätzlich haben wir für die Sechs noch Mathias Olesen, Denis Huseinbasic und nach abgeschlossener Anpassung auch Jacob Christensen.
Es wirkt, als schränke sich der FC durch interne Vorgaben – zum Beispiel die deutsche Sprache – beim Scouting derart ein, dass es zu wenige potenzielle Spieler gibt.
Wir haben beim Scouting einen Fokus auf gewisse Länder – der ist groß genug, um uns nicht einzuschränken. Man darf zwei Sachen nicht unterschätzen: Zum einen ist das monetäre Niveau, das auf vielen ausländischen Märkten aufgerufen wird, sehr hoch. Und die guten Spieler aus den ausländischen Ligen haben nicht nur den FC als Option – die haben meistens mehrere Optionen in den Top-Fünf-Ligen. Darüber hinaus konkurrieren wir mit Clubs, die zwar nicht in einer Top-Fünf-Liga spielen, aber netto ganz anders als wir bezahlen können. Eine Million, auch wenn es sich für jemanden aus dem normalen Leben absurd anhört, ist im Fußball auf Top-Niveau nicht mehr allzu viel Geld.
Kann der FC im Winter nachlegen?
Ebenfalls im Sommer angekündigt hatten Sie Transfers, über die man sagt: „Okay, interessant, dass der zum 1. FC Köln wechselt.“
Damit hatte ich Luca Waldschmidt gemeint. Glauben Sie mir: Wir hätten gerne mehr Spieler aus dieser Kategorie geholt. Andererseits ist es aber auch unser Weg, Spieler zu entwickeln und sie auf ein höheres Level zu heben – mit allen Risiken und Chancen, die das mit sich bringt.
Wie ordnen Sie die Qualität des Kaders unterm Strich ein?
Wenn wir, und damit meine ich alle Verantwortlichen, nicht von unserem Kader überzeugt wären, wären wir so nicht in die Saison gegangen. Ich persönlich bin mir sicher, dass die Mannschaft das Zeug hat, unser Ziel zu erreichen. Jetzt müssen wir schauen, dass wir die Dinge so verändern, dass wir Einsatz und Leistung so justieren, dass wir Punkte holen. Da kein Geld auf der hohen Kante liegt, wird der Ansatz, im Winter groß nachzulegen, nicht auf allzu fruchtbaren Boden fallen.
Ohne die Transfersperre hätte der Kader wohl anders ausgesehen. Können Sie sagen, wie viele Verpflichtungen dadurch geplatzt sind?
Wir haben auch während der Transfersperre probiert, konstruktiv zu arbeiten und unsere Hausaufgaben gemacht. Alles andere ist Spekulation.
Gibt es mittlerweile einen neuen Stand zum Berufungsverfahren vor dem CAS oder eine Prognose, wann mit einem Urteil zu rechnen ist?
Es gibt keinen neuen Stand. Wir gehen davon aus, dass noch in diesem Jahr ein Urteil fällt. Ob das tatsächlich so kommt, weiß aber niemand. CAS-Urteile können auch bis zu 18 Monate dauern. Da der Fall heikel ist, ist wahrscheinlich aber mit einem vergleichsweise schnellen Urteil zu rechnen.
Angesichts des unklaren Urteils und der geringen finanziellen Möglichkeiten: Spielen Sie mit dem Gedanken, noch vor der CAS-Entscheidung einen vertragslosen Spieler zu verpflichten?
Ich würde gerne eine andere Perspektive aufmachen: Jeder Transfer setzt ein Zeichen – nach außen, aber auch nach innen. Nach innen ist es uns sehr wichtig, dass diese Mannschaft unser volles Vertrauen hat. Wir sind alle gemeinsam tief davon überzeugt, dass wir mit dieser Mannschaft in der Bundesliga einen Platz zwischen elf und 15 einfahren können. Deswegen möchte ich nicht permanent über potenzielle Spieler diskutieren, die wir vielleicht holen, weil wir nicht gut gestartet sind. Das heißt nicht, dass wir nicht überlegen, was wir tun könnten, um uns zu verstärken. Fußball ist ein Ergebnisspiel, und wenn wir sehen, dass einzelne Spieler nicht die Entwicklung nehmen, die wir ihnen prognostiziert haben, müssen wir irgendwann sagen: Jetzt müssen wir eine Alternative danebensetzen. Doch über allem steht das Vertrauen.
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