[nextpage title=”Die fehlende Lernkurve der Spieler”]
Der 1. FC Köln hat seinen sportlichen Erfolg der letzten Jahren in nur einer Saison gehörig an die Wand gefahren. Nach dem sechsten Abstieg der Vereinsgeschichte wollen die Verantwortlichen nicht mehr zurückschauen. Doch die Frage nach den Schuldigen bleibt – und ist nicht leicht zu beantworten.
Eine Analyse von Sonja Eich und Marc L. Merten
Köln – Vier Jahre lang ging es bei den Geißböcken kontinuierlich bergauf. Man war sich sicher, wieder ein etablierter Bestandteil der Bundesliga zu sein. Doch im fünften Jahr der gemeinsamen Zusammenarbeit von Mannschaft, Trainerteam und Geschäftsführung lief alles schief, und auch die neuen starken Männer am Rhein schafften es nicht, den freien Fall aufzuhalten. Am Ende bleibt die schwierige Frage, wer den Abstieg wann und wie hätte verhindern können.
Die Spieler
Sowohl Jörg Schmadtke und Peter Stöger als auch Armin Veh und Stefan Ruthenbeck haben die FC-Spieler im Verlaufe der Saison fast immer in Schutz genommen. Doch klar ist: Am Ende standen die Spieler auf dem Platz und entschieden über Sieg oder Niederlage. Am Ende fehlte es der Mannschaft an allen Ecken und Enden an der nötigen Qualität, um in der Bundesliga bestehen zu können. Mittlerweile haben einige Profis selbst zugegeben, es sowohl vor als auch in der Vorbereitung schleifen gelassen zu haben. Die Spieler bereiteten sich nicht optimal auf die schwierige Saison mit der Dreifachbelastung vor. Die schwachen Testspiele hätten eine erste Warnung sein sollen. Stattdessen schenkte man den offensichtlichen Problemen (mangelnde Fitness, schwache Offensive, fehlende Stabilität) keine größere Aufmerksamkeit. Die Quittung folgte auf dem Fuße. Die ersten fünf Saisonspiele gingen alle verloren. Die Kölner liefen ihren Gegnern nur hinterher, waren nicht wettbewerbsfähig. Dafür trug die Hauptverantwortung zwar das Trainerteam. Doch kaum ein Spieler kümmerte sich eigenverantwortlich um seine Fitness oder forderte härteres Training. Selbst, als Timo Horn im Herbst erstmals laut nach Veränderungen rief, verhallte dieser Ruf beim Trainerteam und den FC-Bossen ungehört. Das Vertrauen in Trainer Peter Stöger war grenzenlos – und blind. Der Mannschaftsrat und Kapitän Matthias Lehmann reagierten nicht.
Doch damit nicht genug. Auch mental ließ sich die Mannschaft zu lange nicht auf den Abstiegskampf ein. Der Glaube an die eigene Stärke aus der Vorsaison sorgte nicht für bessere Leistungen, sondern für das Gefühl, man würde die Kurve irgendwann schon bekommen, der Knoten müsse sich nur lösen. Der Knoten löste sich aber zu keinem Zeitpunkt der Saison. Stattdessen zog er sich mit jeder Niederlage immer weiter zu. Und wenn das Team in der Rückrunde tatsächlich mal in Reichweite kam, konnte es kein einziges der entscheidenden Spiel (Augsburg, Hannover, Stuttgart, Bremen, Mainz) gewinnen. Spätestens nach dem 2:0-Sieg gegen Bayer 04 Leverkusen hätte allen Kölnern klar sein müssen, dass das Wunder gar nicht so groß gewesen wäre. Doch anstatt die sich bietende Chance zu nutzen, trafen sich diverse Spieler während der Länderspielpause mit ihren Beratern und sprachen über die Angebote anderer Klubs. Die Folge: Statt den Rückstand weiter zu verkürzen, ließen sich die Geißböcke in Hoffenheim widerstandslos abschießen und verpassten gegen Mainz den Befreiungsschlag.
Während sich der chaotische, zerstrittene HSV, den die Kölner zwischenzeitlich hinter sich gelassen hatten, derzeit mit einer starken Aufholjagd im Abstiegskampf zurückmeldet, verlor der auf seine Einheit schwörende Effzeh das Ziel komplett aus den Augen. Ruthenbeck und Veh sowie die Spieler betonten, nicht aufgeben zu wollen. Doch aus den letzten acht Spielen holte der FC nur noch einen einzigen Sieg. In der Rückrunde stehen nach 15 Spielen 16 Punkte zu Buche: die Bilanz eines Abstiegskandidaten. Die Aufholjagd endete, als sie eigentlich erst hätte beginnen sollen. Das lag vor allem daran, dass die Spieler in dieser Saison viele Tugenden vermissen ließen, die die Mannschaft über viele Jahre ausgezeichnet hatte: körperliche Fitness, Konzentration in der Defensive, taktische Stabilität, offensive Durchschlagskraft, der Wille, einen Matchplan über 90 Minuten strikt zu befolgen. Die nackten Zahlen sprechen für sich: 22 Punkte und 63 Gegentore – die Leistungen in dieser Saison waren nicht bundesligatauglich.
[nextpage title=”Die Trainer und die Geschäftsführung”]
Die Trainer
Peter Stöger zählte zweifelsfrei zu den beliebtesten Trainern in der FC-Geschichte. Der sympathische Österreicher war nicht nur der Vater des wiedergekehrten Erfolges in der Domstadt. Er behandelte die Menschen mit Respekt: seine Spieler, sein Staff, die Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle, die Fans, die Journalisten. Doch nach der vergangenen Saison ging etwas in ihm kaputt. Er habe sich leer gefühlt, gab der Österreicher später zu. In Wahrheit wurde er nie wieder der Alte. Schon im Sommer traf sich der heutige BVB-Coach mit den Verantwortlichen von Borussia Dortmund. Sein Wechsel im Dezember kam offenbar weniger spontan als öffentlich verkündet. Doch der Reihe nach. Ein bis heute im Detail ungeklärtes Zerwürfnis mit Jörg Schmadtke führte zum Bruch: in der Kaderplanung, in der Trainingsarbeit, im täglichen Umgang am Geißbockheim. Das beste Beispiel: Während Schmadtke mit Jorge Meré einen Spieler für die Dreierkette verpflichtete, verzichtete der Trainer darauf, diese in der Vorbereitung einzustudieren und setzte stattdessen weiter auf seine altbewährte Viererkette – ohne Meré.
Stöger selbst gab den Verantwortlichen mehrfach die verbale Vorlage, ihn schon früher zu beurlauben. Der Klub müsse nur einen neuen Trainer finden, der es besser mache, dann könne man über alles reden. Doch weil sich die Bosse für Stöger und gegen Schmadtke entschieden hatten, blieb der Österreicher – zu lange – im Amt. Sein Abschied nach dem Schalke-Spiel war emotional. Sein Wechsel zum BVB nur eine Woche später jedoch ruinierte vieles von dem, was er sich in den viereinhalb Jahren aufgebaut hatte, die ihn zum Rekordtrainer des FC werden ließen. Der Österreicher hätte als Held gehen können. Doch er verließ den Effzeh mit deutlich angekratztem Image.
Es übernahm nach 14 Spieltagen U19-Trainer Stefan Ruthenbeck. Noch nie zuvor hatte es in der Bundesliga-Geschichte eine schlechtere Ausgangslage für einen Coach gegeben. Mit nur drei Punkten und einem Dutzend verletzter Spieler startete der Coach die Herkulesaufgabe Klassenerhalt. Trotzdem schaffte es Ruthenbeck zunächst für Hoffnung zu sorgen. Mit drei Siegen in Folge betrug der Rückstand auf die Konkurrenz plötzlich nur noch vier Punkte. Auch körperlich waren die Spieler wieder besser drauf. Doch dann scheiterte auch Ruthenbeck. Kurioserweise seit dem Spieltag, an dem Armin Veh erstmals auf der Trainerbank neben dem Chefcoach Platz nahm (gegen Stuttgart), begann die Talfahrt mit nur einem Sieg aus acht Spielen. Auch Ruthenbeck selbst machte immer mehr Fehler, lag personell daneben, schaffte es nicht, dass seine Mannschaft auf Umstellungen des Gegners reagierte und wurde Opfer einer Mannschaft, die sich mit fortschreitendem Misserfolg mehr um sich selbst als um das Spiel auf dem Rasen konzentrierte. Dass Ruthenbeck sich bis zum Schluss schützend vor seine Spieler stellte, bleibt ein menschlich einwandfreier Zug. Doch sportlich reichten 19 Punkte aus 18 Spielen mit diesem Kader auch nur noch zu einem Abstieg mit Anstand.
Die Geschäftsführung
Die Geschäftsführung des 1. FC Köln war sich im vergangenen Sommer nicht zu schade, sich für den 35-Millionen-Transfer von Anthony Modeste nach China feiern zu lassen. In der Tat hob der Verkauf des 25-Tore-Stürmers den Effzeh finanziell auf eine andere Ebene. Doch Jörg Schmadtke verpasste es, einen adäquaten Ersatz für den Fanliebling zu verpflichten. Dass mit Jhon Cordoba ein eigentlich interessanter Spieler geholt wurde, soll nicht bestritten werden. Lediglich 17 Millionen hätten für den 24-Jährigen niemals nach Mainz überwiesen werden dürfen. Überhaupt warfen die Transferaktivitäten in den letzten anderthalb Jahren Fragen auf. Die Rückholaktion von Christian Clemens im Winter verfehlte jeglichen Zweck. Auch die Leihe von Neven Subotic zahlte sich nicht aus, zumal dafür Mergim Mavraj abgegeben wurde. In der Sommerpause wurden mit Jannes Horn, Jorge Meré, Tim Handwerker und Joao Queiros zwar Talente für die Zukunft verpflichtet, eine Verstärkung für die Dreifachbelastung der Europa-League-Saison waren diese jedoch nicht. Auch die Verpflichtung von Altmeister Claudio Pizarro verbrannte am Ende nur zwei Millionen Euro an Gehalt. Gebracht hat sie nichts. Doch bei aller Kritik an den Spielern, die kamen, lagen die entscheidenden Fehler woanders – und genau das hat Schmadtke inzwischen mehrfach zugegeben. Die entscheidenden Transfers waren jene, die nicht klappten. Der Rechtsverteidiger, der offensive Flügelspieler, der zweite Mittelstürmer neben Cordoba, der seit zwei Jahren gesuchte Sechser.
Doch nicht nur die Transferpolitik wurde dem Effzeh zum Verhängnis. Auch das kaputte Verhältnis Schmadtkes zu Stöger belastete den Klub. Nach einer Reihe an Sieglos-Spielen wollte der Geschäftsführer mit dem Vorstand eine Entscheidung treffen: entweder mit Stöger durch dick und dünn – oder die Reißleine ziehen. Doch der Vorstand (siehe unten) war gespalten. “Wir hatten eine Struktur, in der wir eine breite Einigung brauchten, um Dinge zu entscheiden”, sagte Schmadtke kürzlich im Sport 1 Doppelpass. Diese habe es aber nicht mehr gegeben. Während Vize-Präsident Toni Schumacher Peter Stöger weiterhin als den Arsene Wenger des 1. FC Köln glorifizierte, war Werner Spinner bereits gegen den Österreicher. Zugleich war der Trainer in der Öffentlichkeit so gut wie unantastbar. Für Schmadtke eine Situation, in der es, gepaart mit dem zunehmenden Druck auf seine Person, nur noch einen Ausweg gab. “Wir hatten eine Konstellation, in der ich dachte, es könne sinnvoll sein, den Verein zu verlassen”, erklärte er diesen Schritt. Kurios bleibt allerdings bis heute, dass der Klub daraufhin 3,3 Millionen Euro an Abfindung zahlte – und dass diese Zahl an die Öffentlichkeit gelangte.
[nextpage title=”Veh, Wehrle und der Vorstand”]
Die Geschäftsführung – Teil II
Nach der verpatzten Verpflichtung von Hannovers Horst Heldt übernahm schließlich Armin Veh die sportlichen Geschicke am Geißbockheim. Angetreten bei einem Verein, der sowieso kaum noch zu retten war, stellte der ehemalige Trainer die Weichen schnell auf Neuanfang. Mit Simon Terodde und Vincent Koziello konnte Veh zwei Baustellen im Kader des Effzeh schließen und bereits für die neue Saison als Säulen verpflichten. Die Rechtsverteidigerposition ließ er jedoch unbesetzt, ein Fehler, den er wohl inzwischen bereut. Und während die Verpflichtung von Trainer Markus Anfang für die neue Saison wohl schon im Winter beschlossene Sache war, vertraute der Geschäftsführer bis zum Ende der Saison Stefan Ruthenbeck. Durch die frühe Entscheidung pro Anfang verbaute sich Veh jedoch die Möglichkeit, im Laufe der Rückrunde noch einmal auf der Trainerposition für neuen Schwung zu sorgen. Dafür setzte er mit dem Verbleib von Jonas Hector, Timo Horn und Marco Höger wichtige Zeichen für die Zukunft. Letztere Entscheidungen könnten die Grundlage sein für eine erfolgreiche Saison 2018/19.
Etwas untergetaucht ist dagegen in den vergangenen Wochen Alexander Wehrle. Als Hans Dampf in allen Gassen arbeitete der Finanz-Boss in den vergangenen Monaten am Stadion, am Geißbockheim-Ausbau, an der Vermarktung, aber auch am Modeste-Verkauf, zwischenzeitlich als einziger Geschäftsführer als Trainer-Entlasser (Stöger) und als Vertreter des Präsidiums, als Werner Spinner ausfiel und Markus Ritterbach aus familiären Gründen abwesend war. Wehrle schaffte es, sich meist aus dem Kreuzfeuer der Kritik zu halten. Doch auch er hat freilich seinen Teil dazu beigetragen, dass die Entscheidung contra Stöger viel zu spät fiel. Darüber hinaus musste er nach den Trennung vom Österreicher, von Manfred Schmid und schließlich auch von Alexander Bade eingestehen, dass sich der FC zu naiv in den Gesprächen auf Abfindungen eingelassen hatte, die man nicht unbedingt hätte zahlen müssen. Darüber hinaus hatte auch er sich zwischenzeitlich auf Horst Heldt versteift, musste dann zurückrudern. Kürzlich gestand Wehrle, vor allem “kommunikativ” Fehler begangen zu haben. Das betraf sicherlich den gesamten Klub, denn nur selten traten die FC-Verantwortlichen in dieser Saison souverän und offen auf.
Der Vorstand
Das Präsidium um Werner Spinner, Toni Schumacher und Markus Ritterbach besitzt nebst der Führung des Vereins eine wichtige Funktion in der Profiabteilung: die Kontrolle der Geschäftsführung und deren Verhältnis zum Trainerteam. Diese Aufgabe, das deutete Spinner zuletzt auch an, hätte das Trio in der zurückliegenden Saison besser bewältigen müssen. Dem Vorstand war über mehrere Monate hinweg vorgespielt worden, zwischen Schmadtke und Stöger sei alles in bester Ordnung gewesen. Das Präsidium ließ sich einen Bären aufbinden, scheiterte in dieser Beurteilung aber auch an seiner eigenen Zerstrittenheit. Während Schumacher sich klar pro Stöger positionierte, stand Spinner dem ehemaligen Torhüter gegenüber, Ritterbach dazwischen. Darüber hinaus hatte der Vorstand die Augen davor verschlossen, dass Jörg Schmadtke den FC in der Krise verlassen könnte. Es wäre in ihrer Verantwortung gewesen, für den Düsseldorfer einen Plan B in der Schublade zu haben – so, wie es Schmadtkes Aufgabe gewesen war, eine Alternative zu Stöger zu suchen.
Als Schmadtke dann weg war, offenbarte sich das ganze Dilemma aus Sicht des Vorstands. Man hatte zugelassen, dass nach der Entzweiung Schmadtkes und Jörg Jakobs’ keine sportliche Führung mehr für die Profiabteilung zuständig war. Peter Stöger übernahm diese ebenfalls und machte sich so nur noch unersetzlicher. Schließlich verpassten der Vorstand und Wehrle den letztmöglichen Zeitpunkt für eine Trennung von Stöger (nach dem 0:3 zuhause gegen Hoffenheim). Auch, weil sie sich nicht gegen die breite öffentliche Meinung stellen wollten. Als die Entscheidung schließlich fiel – auch provoziert durch Stögers Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Schalke – war es für den FC zu spät.
Im Dezember nahm der FC dann noch einmal Schaden durch die Posse um Horst Heldt. Die Verpflichtung von Armin Veh dagegen darf als positive Überraschung gewertet werden. Ob der ehemalige Meistertrainer der Aufgabe gewachsen sein wird, wird erst die nächste Saison zeigen. Doch das Präsidium zeigte zumindest Mut in dieser Personalie.
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