Der 1. FC Köln spielt bei Union Berlin, als sei der Winterschlaf schon über die Geissböcke gekommen. Das 0:2 (0:1) bei den Eisernen war ein neuerlicher Niederschlag im Abstiegskampf, der irgendwann ohne große Gegenwehr hingenommen wurde. Einzig Jhon Cordoba sorgte für Ansehnliches. Doch bei der Leistung des FC wollte irgendwann offenbar nicht einmal mehr der Videoassistent hinsehen.
Aus Berlin berichtet Marc L. Merten
Geschichte des Spiels: Sollte die Saison 2019/20 des 1. FC Köln jemals verfilmt werden, sollte ein Verantwortlicher von Bill Murray gespielt werden. Niemand erwachte in der Filmindustrie so verzweifelt immer wieder am gleichen Tag, dem Groundhog Day (“Murmeltiertag”), und erlebte immer und immer wieder den gleichen Mist. Dem FC erging es am Sonntag bei Union Berlin ähnlich. Vergebene Torchancen, haarsträubende individuelle Fehler, formschwache Spieler, hängende Köpfe, ein nicht gegebener Elfmeter und fatale Statistiken – alles sah aus wie fast jede Woche in dieser Saison. Im Film “Und täglich grüßt das Murmeltier” erkannte Bill Murray irgendwann, dass er etwas ändern musste, um aus dem Kreislauf auszubrechen. Er musste leidenschaftlich für seine Rettung kämpfen. Er musste alles investieren, sich verändern, Klavier lernen, Gutes tun und natürlich Andie MacDowell um den Finger wickeln, um zu entkommen. All das sieht man beim FC dagegen nicht. Es muss ja nicht Klavier sein. Zweikämpfe oder Torschüsse würden schon reichen, um Andie MacDowell als personifizierten Klassenerhalt zumindest im Blick zu behalten.
Das Ergebnis: Das 0:2 (0:1) des 1. FC Köln kam einfach und für jeden nachvollziehbar zustande. In Hälfte eins agierten die Geissböcke noch halbwegs stabil, zumindest eine halbe Stunde lang. Jhon Cordoba war derjenige, der dem FC die Kraft verlieh, zumindest vier gute Chancen zu bekommen. Ehizibue, Terodde und Verstraete vergaben sie jedoch. Dann leisteten sich Verstraete und Terodde zwei Fehler und es stand 0:1. Sebastian Andersson nutzte jedoch nicht nur den Eckball zur Führung, sondern auch einen Blackout von Marco Höger zum 0:2. Danach war das Spiel gelaufen, denn beim FC glaubte niemand mehr daran gegen Union Berlin noch punkten zu können.
Szene des Spiels: Es war gegen Ende der ersten Halbzeit. Kingsley Ehizibue, laut Jobbeschreibung gelernter Rechtsverteidiger und damit eigentlich ein Defensivspezialist, spielte als Rechtsaußen. Im Mittelfeld verlor der Niederländer ein Kopfballduell, das jedoch wichtig gewesen wäre zu gewinnen, da Benno Schmitz, der nominierte Rechtsverteidiger, sich schon aufgemacht hatte, um über die rechte Seite von Ehizibue in Szene gesetzt zu werden. Nun ist ein verlorenes Kopfballduell zunächst einmal kein Drama. Doch Ehizibue tat Erstaunliches. Er ließ es geschehen und blieb stehen. Erst gut zwei Sekunden später, nachdem sein Gegenspieler schon den Konter für Union eingeleitet und selbst Schmitz seinen Mitspieler überholt hatte, setzte sich der 24-Jährige wieder in Bewegung. Doch statt einen seiner unnachahmlichen Sprints anzuziehen, dem praktisch niemand in der Liga folgen kann, trabte Easy easy peasy zurück, gemütlich und recht unberührt von dem, was da in der Abwehr der eigenen Mannschaft vor sich ging. Ehizibue stand auf diese Weise sinnbildlich für das wundersame Verständnis der Kölner, sich läuferisch und kämpferisch nur partiell am Spiel beteiligen zu müssen. Wer so winterschläfrig spielt, ist abgestiegen, ehe der Frühling kommt.
Duell des Spiels: Zumindest in Hälfte eins war es beeindruckend anzusehen, wie sich Jhon Cordoba mit den gegnerischen Verteidigern beharkte. Insbesondere mit Marvin Friedrich lieferte sich der Kölner Kolumbianer ein heißes Duell. Wie häufig sie gemeinsam auf dem Rasen landeten, ist nicht übermittelt. Doch eng umschlungen kämpften sich immer wieder um einen der langen Kölner Bälle im Spielaufbau. Cordoba mit dem Rücken zum gegnerischen Tor, die Arme nach hinten gewunden, von Friedrich liebevoll umarmt. Immer dann, wenn der Ball hoch in Richtung des Duos geflogen kam, gewann der größer gewachsene Friedrich die Zweikämpfe. Immer dann, wenn ein flacher Pass kam, war der technisch stärkere und explosivere Cordoba im Vorteil. Immer wieder legte Cordoba so entweder auf die Außenbahnen auf oder holte am Strafraum insgesamt drei Freistöße heraus. Doch nach dem 0:2 verlor das Duell des Spiels jede Wirkung, denn das Spiel war entschieden.
Pfiff des Spiels: Es war Mitte der zweiten Halbzeit, es stand 0:2, als Louis Schaub von der linken Seite in den Berliner Strafraum einzog. Robert Andrich fuhr sein Bein aus und ließ den Österreicher über die Klinge springen. Die TV-Bilder zeigten einen klaren Elfmeter für den FC. Schiedsrichter Patrick Ittrich ließ jedoch weiterlaufen – und auch aus dem VAR-Keller kam kein Einwand. Nach Ansicht der TV-Bilder eine fast schon wahnwitzige Entscheidung. Nicht, dass ein Elfmeter die sichere Wende aus Kölner Sicht herbeigeführt hätte, doch das deutsche Schiedsrichter-Wesen ist um eine grobe Fehlentscheidung reicher. Einmal mehr auf Kosten des 1. FC Köln.
https://twitter.com/michael_keil/status/1203707674380120065
Zitat des Spiels: Es waren die Worte von Sportchef Horst Heldt, die in den kommenden Tagen im Fokus stehen werden: “Wir werden konsequent handeln müssen. Wir können auf keinen warten. Jeder muss bereit sein alles zu tun. Das ist unsere Erwartungshaltung. Wenn wir das Gefühl nicht haben, versuchen wir die zu finden, die uns dieses Gefühl geben.”
Kalte Schulter statt Schulterschluss: Nach dem Spiel gegen Augsburg und dem späten 1:1 hofften alle, zwischen Spielern und Fans habe ein Schulterschluss stattgefunden. Nach dem Spiel bei Union Berlin jedoch zeigten die Anhänger den FC-Profis nur noch die kalte Schulter. Ganz zum Verständnis von Sportchef Heldt: “Ich habe gesagt, wir brauchen die Unterstützung der Fans. Aber ich habe auch gesagt: Das muss von uns ausgehen.” Da von den FC-Spielern am Sonntag aber nicht viel mehr ausging als das Ergebnis aussagte, fuhren die rund 2500 Kölner Anhänger in ihren weißen Regen-Ponchos wieder nach Hause. Einige wenige hatten sich wenigstens als Pyro-Fackeln gewärmt. Die Rechnung vom DFB folgt sicher.
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