Birger Verstraete gehört weiter zur Trainingsgruppe des 1. FC Köln. Der Belgier dürfte am Sonntag nur knapp dem Los entgangen sein, das tags drauf Salomon Kalou bei Hertha BSC ereilte. Doch der FC-Spieler betreibt schon länger eine Abspaltung von den Geissböcken. Den 26-Jährigen umtreibt nicht nur die Sorge um seine Gesundheit, sondern auch um seine sportliche Zukunft, die wohl nicht in Köln liegt.
Köln – Als die Spieler des 1. FC Köln am Montagnachmittag um 14.45 Uhr aus den Umkleidekabinen des Geißbockheims gingen, führte sie ihr Weg nicht direkt auf den Trainingsplatz. Gemeinsam mit dem Trainerteam, Geschäftsführer Alexander Wehrle und Lizenzspielerleiter Frank Aehlig (Horst Heldt war terminlich verhindert) traf man sich in den Räumlichkeiten des Restaurants am Geißbockheim, dem einzigen Raum, der derzeit groß genug ist, um den Coronavirus-Anforderungen für eine Teamsitzung zu entsprechen.
Dort teilten Wehrle und Aehlig sowie Chefcoach Markus Gisdol den Spielern mit, wie es nach der negativen Testrunde vom Sonntag ohne neue Infektionen weitergeht. Dabei ging es auch um die Vorbereitungen auf das Trainingslager, das der FC für den Beginn des Mannschaftstrainings plant. Eine halbe Stunde lang saßen die Spieler mit den Verantwortlichen zusammen, ehe es auf den Trainingsplatz ging – im vorgegebenen Abstand und in den kommenden Tagen auch erst einmal ohne mediale Begleitung. Die hatte es über das Wochenende aus Kölner Sicht zur Genüge gegeben – nicht zuletzt wegen der drei positiven Tests auf das Coronavirus, vor allem aber aufgrund des Interviews von Birger Verstraete im belgischen Fernsehen.
Verstraete spricht aus, was viele Spieler denken
Grundsätzlich verweist man beim FC gerne auf die Mündigkeit der Spieler, die alleine entscheiden können, was gut für sie ist. Noch immer wabert der Satz von Ex-Manager Jörg Schmadtke durch die Gänge der Geschäftsstelle, der einmal sagte: “Die Spieler können sagen, was sie wollen. Sie müssen nur mit dem Echo leben können.” Das Echo, das Birger Verstraete am Sonntag zu hören bekommen hatte, dürfte dem Spieler noch einige Stunden später in den Ohren geklungen haben. Zwar ist die Autorisierung von Interviews und Zitaten natürlich auch am Geißbockheim, wie in der gesamten Bundesliga, gängige Praxis. So verschwinden gerne mal unliebsame Äußerungen der Spieler aus schriftlichen Statements und werden durch weichere Formulierungen ersetzt. Doch in Radio- und Fernsehinterviews ist dies freilich nicht möglich.
Schon gar nicht, wenn das Interview am FC vorbei geführt wird. Es war nicht das erste Mal in den vergangenen Wochen, dass sich Verstraete ohne vorherige Absprache mit dem FC in belgischen Medien äußerte. Doch am Freitag hatte er dies unter dem Eindruck der positiven Tests seiner Teamkollegen getan und dabei seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Eine eigentlich überaus wohltuende Form der Kommunikation, die selten geworden ist im Fußballbusiness. Und so sprach Verstraete wohl zahlreichen anderen Fußballprofis, nicht nur beim FC, aus dem Herzen. Denn dass sich so mancher Spieler, auch am Geißbockheim, beim aktuellen Training längst nicht wohl fühlt in seiner Haut, ist ein offenes Geheimnis. Nur war Verstraete eben der erste Profi, der dies auch aussprach.
FC sieht sich Shitstorm ausgesetzt
Dem FC fehlte es in der Folge am nötigen Fingerspitzengefühl, auf diese Schwingungen des Gesagten einzugehen. Ein Statement eines Verantwortlichen als Ausdruck des Verständnisses hätte schon gereicht. Zum Beispiel Sätze der Marke: “Wir haben mit Birger Verstraete gesprochen und nehmen seine Sorgen ernst. Wir haben ihm die getroffenen Maßnahmen noch einmal erklärt und ihm versichert, dass die Gesundheit unserer Spieler über allem steht.” Doch eben jene Nähe zum besorgten Mitarbeiter gab es nicht, weshalb sich der FC in kürzester Zeit einem Shitstorm ausgesetzt sah, der am Montag erst abebbte, als Salomon Kalou mit seinem bemerkenswerten Video aus dem Hertha-Inneren auf den Plan trat.
Verstraete treibt Abschied aus Köln voran
Doch Verstraetes Aussagen könnten auch noch eine weitere Dimension haben, die womöglich auch erklärt, warum der FC so kühl reagierte. Denn längst ist am Geißbockheim allen Beteiligten klar, dass Verstraete bei nächster Gelegenheit einen Vereinswechsel anstreben wird. Der 26-Jährige fühlt sich unverstanden und nicht gewürdigt. Dies wurde bereits vor Monaten klar, als Verstraete sich eine Augenverletzung zugezogen hatte, der FC seinen Spieler schützen wollte, indem man die wahren Gründe für seine längere Nicht-Berücksichtigung zurückhielt, doch Verstraete anschließend vehement bestritt, dass ihm die Augenprobleme länger begleitet hätten. Er sei vielmehr aus Leistungsgründen vom Trainer außen vorgelassen worden. Anders ausgedrückt: Markus Gisdol stehe nicht auf den Spieler.
Schon zu diesem Zeitpunkt schien Verstraete seinen Abschied im Sommer vorzubereiten. Nach seinem Vier-Millionen-Euro-Wechsel vom KAA Gent zum FC hatte sich der defensive Mittelfeldspieler mehr erhofft als sieben Startelf-Einsätze und zwei Einwechslungen. In der Rückrunde gehörte Verstraete noch überhaupt nicht zum Spieltagskader. Auch dieser Frust dürfte bei Verstraete im Interview eine Rolle gespielt haben. Der Belgier ist in den heimischen Medien präsent und hat sich wieder in Erinnerung gerufen. Dass er am Sonntag nur knapp der Suspendierung entgangen sein dürfte, wird ihm weitere Argumente gegeben haben, um in der nächsten Transferphase ein Ende der unglücklichen Ehe und einen Wechsel herbeizuführen. Und sollte der defensive Mittelfeldspieler dadurch noch eine Millionenablöse in die Kölner Kassen spülen, wäre auch dem FC geholfen.
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