Wenn es nach dem 1. FC Köln gegangen wäre, hätten die Geißböcke vor 20 Jahren ein neues Stadion in Eigenregie gebaut, das dem Klub anschließend gehört hätte. Doch die Stadt Köln machte den Plan zunichte und baute das heutige RheinEnergieStadion selbst. Die stimmungsvolle Arena wurde zur emotionalen Heimat des FC. Doch die Fachjuroren hatten einen anderen Stadionentwurf bevorzugt, der aus wirtschaftlichen Gründen schließlich nur Zweiter wurde. Dabei wäre gerade die wirtschaftliche Perspektive eine der Stärken dieses Entwurfs gewesen.
Von Sonja Eich und Marc L. Merten
Der 1. FC Köln spielt im Jahr 2020 – die Coronakrise ausgenommen – zweifellos in einem der elektrisierendsten Stadien Deutschlands. Das Team von Markus Gisdol ritt zu Jahresbeginn auch dank der Unterstützung der Zuschauer, multipliziert durch die atmosphärische Architektur der Arena, auf einer Erfolgswelle. Müngersdorf hat seit dem Neubau 2004 viele unvergessliche Momente erlebt, gekrönt 2017 durch den Einzug in die Europa League.
Die enge Bauweise, die Nähe zwischen Zuschauern und Spielern und die durch die Leuchttürme unterstützte Atmosphäre hatten den Entwurf der Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) im Juni 2001 die Ausschreibung für das neue Müngersdorfer Stadion gewinnen lassen. „Der Entwurf erfüllt mit seinen vier von innen beleuchten 65 Meter hohen Pylonen, an denen auch die Dachkonstruktion hängt, den Wunsch nach imageprägender und markanter Architektur und wurde vor allem von den Sachpreisrichtern (Vertreter der Ratsfraktionen, OB Schramma und FC-Präsident Caspers) mit einer Stimme Vorsprung auf den ersten Platz gesetzt“, schrieb das Architekturmagazin Köln damals nach der Entscheidung.
Besonderer Platz vor der Südkurve
Doch nicht nur das Architekturmagazin berichtete auch von Spannungen zwischen den Juroren. Die Jury hatte sich aus Sach- und Fachjuroren zusammengesetzt. Zu den Sachpreisrichtern gehörten Vertreter der Stadt Köln, der Sportstätten GmbH und des 1. FC Köln. Die Fachjuroren dagegen bestanden aus international renommierten Architekten aus ganz Deutschland. Und genau diese Architekten hatten ihre Mühen mit dem letztlichen Gewinner. „Es ging am Ende um eine Stimme, die den gmp-Entwurf auf Platz eins hievte. Auf der Fachpreisrichter-Seite war Unbehagen zu spüren“, schrieb der Kölner Stadt-Anzeiger. „Für die Meisten war der architektonisch überzeugendere Entwurf der Schebalkin-Architekten der eigentliche Gewinner. Doch die vier von innen leuchtenden Türme waren ganz nach dem Geschmack von OB Schramma und FC-Präsident Caspers.“ Das Architekturmagazin Köln ergänzte: „Sie (die Fachjuroren) konnten sich mehrheitlich nicht für den technoiden gmp-Entwurf begeistern und favorisierten – jedoch nicht einstimmig – den Zweitplatzierten. Deren Entwurf sah eine ovale, in sich geschlossene Arena mit einem großen, weit über das Stadionrund auskragenden transparenten Dach vor.” Dies versprach eine Überdachung weiter Teile des Platzes vor der Südkurve. An der Fassade waren zudem Videoleinwände geplant, wie sie in den USA vor den Stadion der NFL schon länger Usus sind. “Auf bewegter Topographie hätten außerhalb der Arena unter dem Dach auch separate Veranstaltungen stattfinden können. Der Bereich um das Stadion war als multifunktional nutzbar angelegt.“
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Platz 2: Der Entwurf der Architektengruppe MDK und Schebalkin. (Foto: GBK)
Tatsächlich bestanden bereits unmittelbar nach der Entscheidung für gmp Zweifel an einigen baulichen Elementen des Gewinner-Stadions. Vor allem die vier offenen Ecken standen in der Kritik. Der damalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma bestätigte auf GBK-Nachfrage, dass dort sogar während der Bauphase nachgerüstet werden wusste, da man festgestellt hatte, dass die Ecken nicht windgeschützt und somit zu zugig für die dort sitzenden Zuschauer gewesen wären. Erst nachträglich wurden die Ecken deshalb verglast. Auch die Leuchtsäulen standen zur Diskussion. Nach GBK-Informationen wollten die Architekten lediglich eine weiße Leuchtfarbe zur Verfügung stellen. Farbliche Variationen in Rot und Weiß oder anderen Optionen waren von den Planern nicht vorgesehen und auch nicht erwünscht. Am Ende mussten sie sich den Auftraggebern jedoch beugen.
gmp-Architekten für Berliner Flughafen in der Kritik
Eine GBK-Anfrage an gmp zu einem Gespräch mit den damaligen Architekten blieb unbeantwortet. Dabei ist gmp eine der größten Architekturbüros Deutschlands. Mit Großprojekten wie den Flughäfen Berlin-Tegel und Stuttgart, dem Hauptbahnhof in Berlin und Fußballarenen weltweit wie dem Nationalstadion Warschau oder der WM-Arena in Durban gehört gmp zur obersten Liga der Architekten. In die Kritik gerieten sie in den vergangenen Jahren jedoch durch den Bau des Berliner Flughafens BER. Der Tagesspiegel berichtete bereits 2012, dass „die Pleite mit der verschobenen Eröffnung vor allem durch das Architekturbüro gmp verursacht worden“ sei. Und weiter hieß es: „Meinhard von Gerkan und sein Team waren bisher vor allem dafür bekannt, dass sich die Kosten ihrer Berliner Projekte in der Bauphase kräftig erhöhen.“
Diese Erfahrung machte damals auch die Stadt Köln. Denn nur wenige Wochen nach dem Wettbewerb musste OB Schramma eingestehen, „dass die Realisierung wohl im Schnitt zehn bis 15 Prozent mehr kosten wird als die bisher veranschlagten 180 Millionen Mark“, schrieb das Architektenmagazin und zitierte Kölns obersten Politiker mit den Worten: Priorität bei den Verhandlungen habe der Siegerentwurf. „Können aber die Kosten nicht gehalten werden, so verhandeln wir auch mit den zweiten und dritten Preisträgern“.
Diese Aussage hatte damals durchaus Brisanz. Denn gmp hatte erklärt, die Kosten für das Stadion würden bei 180 Millionen Mark liegen. Schramma bestätigte dem GEISSBLOG.KOELN jedoch, dass der Neubau letztlich 240 Millionen Mark kostete und damit ein Drittel mehr als das vorgegebene Limit. Der Entwurf der Zweitplatzierten dagegen war vor allem deswegen von der Sachjury nicht bevorzugt worden, weil die Bewerbung Baukosten in Höhe von über 200 Millionen Mark angegeben und damit deutlich über dem gmp-Entwurf gelegen hatte.
Wäre die knappe Entscheidung mit 9:8 Stimmen bei einem realen Kostenvergleich also anders ausgefallen? In jedem Fall versuchten die Zweitplatzierten genau dies nachträglich noch zu erreichen. Dem GEISSBLOG.KOELN liegt ein Schreiben vor, das bei der Stadt Köln am 13. August 2001 eingegangen war. Unter dem Betreff „Überarbeitetes Angebot“ lieferte die Gruppe ein neues Angebot für den eigenen Entwurf. Man habe „Einsparpotentiale ausgearbeitet“, sodass das „überarbeitete Angebot mit einer Gesamtsumme von netto DM 179.950.000,- abschließt“. Damit hatte man den gmp-Kampfpreis getroffen und erhofft, Schramma würde die Gespräche noch einmal aufnehmen. Doch dies geschah nicht.
Der 1. FC Köln konnte damals noch nicht absehen, welche Folgen diese Entscheidung haben würde. Der Klub bekam das erhofft atmosphärische Stadion, ihm wurde aber im Wortsinne eine große Chance verbaut. Denn aus heutiger Sicht fehlte dem Gewinner-Stadion eine entscheidende Komponente: die Option einer Erweiterung. Die heutigen Verantwortlichen der Geissböcke wurden im letzten Jahr nach den Machbarkeitsstudien für einen Ausbau damit konfrontiert, dass das bestehende Stadion nicht modular und damit nicht flexibel gebaut worden war. Technisch wäre ein Ausbau zwar möglich, jedoch nur zu einem Preis von über 200 Millionen Euro. Ein Plan im Übrigen, dem das Architekturbüro gmp nach GBK-Informationen zunächst ablehnend gegenüber gestanden und daher erst auch keine Machbarkeitsstudie hatte durchführen wollen.
Ironie des Schicksals ist wohl, dass der Entwurf des Zweitplatzierten diese Frage beantwortet hätte. Denn die Architekten hatten bereits vor der städtischen Ausschreibung mit dem 1. FC Köln und der Stadt jenen Entwurf aufgestellt, der vom FC selbst umgesetzt worden wäre. Dieser hatte einen Ausbau vorgesehen. Das bestätigte einer der Architekten dem GEISSBLOG.KOELN. „Die Diskussion um eine vorgesehene Erweiterung gab es mit dem FC – und auch mit der Stadt“, sagte Markus Schebalkin. „Unsere Konstruktionen sollten voneinander getrennt sein, um das Dach für einen dritten Rang anheben zu können. Wir hatten das extra so dargestellt, weil uns der Gedanke von maximal 50.000 Zuschauern als perspektivisch zu gering vorkam.“
Ab 2024: Ist ein Neubau in Müngersdorf die bessere Option?
Auch andere Stadionentwürfe hatten einen dritten Rang vorgesehen, manche sogar schon bei einer Kapazität von 50.000 Zuschauern. Der heutige FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle verwies in den letzten Jahren immer wieder auf mehrere Gründe für einen Ausbau. Einer sei – neben der erhöhten Zuschauerkapazität –, dass man einen weiteren Logen-Rang und eine weitere Vermarktungsebene erhalte. Unter den sieben Finalisten hatten die drei Architekten-Büros der Plätze fünf bis sieben jeweils bereits drei Ränge vorgesehen. Um die Höhe des Stadions dabei gering zu halten, hatten sie dafür den Unterrang und das Spielfeld in die Erde versenkt, sodass die Zuschauer das Stadion auf Höhe des ersten Oberranges betreten hätten. Schebalkins Entwurf sah dagegen zwei Ränge für 45.000 Zuschauer vor. Durch ein separat getragenes Dach wäre aber der Einzug eines dritten Ranges durch Aufstockung der Dachträger möglich gewesen.
Nun aber muss der 1. FC Köln andere Überlegungen anstellen, will man in Zukunft das Stadion doch noch auf über 50.000 Zuschauer erweitern und einen dritten Rang bauen. Die Kosten dafür könnten jedoch schnell jenen eines gänzlichen neuen Stadions entsprechen. Das bestätigte Schebalkin. „Heute könnte man ein neues Stadion – je nach Anforderungen – im Grundbau für 200 Millionen Euro bauen. Aus meiner Sicht würde es daher keinen Sinn machen, das jetzige Stadion für über 200 Millionen Euro umzubauen. Das Fundament wäre ja das alte.“ Könnte die Diskussion am Ende also sogar zu einem Neubau am Standort Müngersdorf führen, so wie Anfang der Jahrtausendwende?
Damals beschloss die Stadt den Umbau während des laufenden Spielbetriebs. Eine Option, die für die Zukunft wieder gelten könnte. Nach Ablauf des aktuellen Pachtvertrags im Jahr 2024 wäre das heutige Stadion 20 Jahre alt. Das vorherige Müngersdorfer Stadion wurde nach 25 Jahren abgerissen und ersetzt. Andere Stadien wie das WM-Stadion Delle Alpi in Turin – neu gebaut für die WM 1990 – wurde von Juventus Turin gar schon nach 19 Jahren wieder ersetzt. In Köln könnte also schon in wenigen Jahren die Frage wieder von neuem beginnen: Sanierung, Ausbau oder Neubau? Genauso wie die Frage, wer das Stadion dann bauen würde. Ob es dann der 1. FC Köln in Eigenregie sein wird?
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