“Ich könnte mit dem Relegationsplatz leben”: Friedhelm Funkel hat im ersten Interview seit seiner Übernahme beim 1. FC Köln seine Erwartungen an die verbliebene Saison definiert. Der 67-jährige betonte im Gespräch mit dem GEISSBLOG.KOELN, dass er die Mannschaft weder taktisch überfrachten noch radikale Maßnahmen vornehmen werde. Personell könnte es jedoch die eine oder andere Überraschung geben.
Das Interview führte Marc L. Merten
GEISSBLOG: Herr Funkel, Sie sind nach über 17 Jahren zurück in Köln. Wie hat sich der FC verändert?
FRIEDHELM FUNKEL: „Das Trainingsgelände ist gleich geblieben, Platz 1 sieht aus wie früher, die Bäume drum herum, der Weiher. Das Gebäude ist größer geworden, aber das Flair ist noch wie vor 20 Jahren. Die Kabinen auch, noch immer sehr einfach gehalten. Es war wie nach Hause zu kommen. Dieses Gefühl hätte sich bei keinem anderen Verein so schnell eingestellt.“
Sie haben gerade zum ersten Mal einen Klub übernommen, bei dem Sie wissen, dass nach sechs Spielen schon wieder Schluss ist. Was verändert das in Ihrer Arbeit?
Diese Situation hatte ich noch nicht, das stimmt. Deswegen war es wichtig, dass ich mich hier im Umfeld nicht eingewöhnen und auch nicht umziehen musste. Die Spieler lerne ich generell immer schnell kennen. Daher kann ich mich hier vom ersten Tag an auf das Wesentliche konzentrieren. Es geht nur darum, die Klasse zu halten, und sei es über die Relegation. So realistisch müssen wir sein. Ich könnte mit dem Relegationsplatz nach 34 Spieltagen leben.
Dennoch müssen Sie als Trainer keinen Gedanken an die nächste Saison verschwenden und auch auf den einen oder anderen Spieler eigentlich keine Rücksicht nehmen.
Mein Fokus liegt nur auf diesen sechs Wochen. Ich muss nicht über den Kader der nächsten Saison nachdenken oder mit Horst Heldt darüber reden, welche Spieler kommen könnten. Das lässt mir mehr Zeit und Energie für die Aufgabe im Hier und Jetzt. Das ändert aber meine Herangehensweise nicht. Ich hatte immer einen guten Draht zu den Spielern und habe auch hier schon zwölf, dreizehn Gespräche geführt. Die weiteren Gespräche kommen bis Samstag. Mein Gefühl ist, dass alle Spieler wollen. Auch die, die womöglich nach der Saison nicht mehr hier sein werden.
Dennis ist sehr fleißig, sehr willig und hat wirklich gut trainiert
Ziehen gerade diese Spieler bisher mit?
Das Gefühl habe ich, und das haben sie mir glaubhaft vermittelt und im Training auch schon gezeigt. Es ist mir egal, ob ein Spieler bleibt oder in zwei Monaten nicht mehr hier ist. Wenn ich von dem Spieler überzeugt bin, dass er uns jetzt helfen kann, lasse ich ihn spielen. Ich brauche die Spieler, die uns jetzt helfen.
Was ist mit den Spielern, die zuletzt etwas außen vor waren? Wie Benno Schmitz oder Emmanuel Dennis?
Was vor Montag war, spielt für mich keine Rolle. Ich habe von jedem Spieler einen ordentlichen Eindruck, alle trainieren sehr engagiert. Benno Schmitz macht das bislang gut. Emmanuel Dennis macht das auch gut. Er ist sehr fleißig, sehr willig und hat wirklich gut trainiert. Ich schaue nicht zurück, sondern nur nach vorne.
Was werden Sie verändern?
Die Mannschaft hat eine gute Physis, das ist enorm wichtig. Jetzt werden wir versuchen, Kleinigkeiten anzupassen. Wir haben wenig Zeit. Ich fordere ein, in allen Bereichen noch einmal mehr zu machen. Dann haben wir die Chance in der Liga zu bleiben. Dafür brauchen wir zuallererst Engagement im Training. Klar gibt es Trainingsweltmeister und Wettkampftypen, aber in der kurzen Zeit ist es wichtig, dass alle immer fokussiert arbeiten.
Ellyes Skhiri ist ein Spieler wie ich früher
Welcher Typ waren Sie als Spieler – der Trainingsweltmeister oder der Wettkampftyp?
Beides. (lacht) Es hört sich doof an, aber das meine ich so. Ich habe unglaublich gerne trainiert. Damals gab es keine Belastungssteuerung oder sowas. Der Trainer hat nach Gefühl trainiert. Wenn die Spieler nicht mehr laufen konnten, war das Training zu Ende. Ich war nicht der technisch Beschlagene, ich musste über die Physis kommen. So war ich dann auch im Spiel. Das war eine meiner großen Stärken.
Welcher FC-Spieler erinnert Sie am ehesten an den jungen Friedhelm Funkel?
Ellyes Skhiri – aus dem Spiel heraus müsste er nur noch ein bisschen torgefährlicher werden. Ich habe im Mittelfeld weiter vorne gespielt, aber das waren auch noch andere Zeiten, und ich wollte einfach unheimlich gerne Tore machen. Aber vom Typ her wäre ich heute eher ein Sechser oder Achter, also so wie Ellyes Skhiri oder Jonas Hector.
Sie sprechen das Toreschießen an. Was fehlt dem FC?
Wir müssen mehr Mut haben. Wir dürfen nicht immer nur versuchen, uns den Ball in den Fuß zu spielen, sondern müssen den Ball in den Lauf fordern. Und wir müssen mehr aufs Tor schießen. Wenn wir es nicht versuchen, werden wir keine Tore schießen. Wir müssen es auch mal aus 25, 30 oder 35 Metern versuchen. Es ist nicht schlimm, wenn der Ball vorbeigeht oder der Torwart hält. Wir müssen die Anzahl der Torschüsse erhöhen, damit sich die Chance erhöht, dass wir treffen. Es können Bälle abgefälscht werden, dem Torwart aus der Hand gleiten. Wenn wir es aber gar nicht erst versuchen, können wir diese Situationen auch nicht erzwingen.
Ich bin kein Trainer, der die Dinge auf den Kopf stellt
Bevorzugen Sie eine Grundformation?
Ich persönlich sehe in einem 4-4-2 oder 4-2-3-1 keine großen Unterschiede. Das sind Nuancen, ob ein zweiter Spieler vorne anläuft oder sich dahinter fallen lässt, ergibt sich auch mal aus dem Spiel. Eine Dreierkette wäre da schon eine größere Veränderung. Ich möchte mit meiner Mannschaft nicht allzu oft das System wechseln, weil ich den Spielern Sicherheit geben möchte. In einer Viererkette verändert sich nichts, mit einer Doppel-Sechs verändert sich auch für die offensiven Außenpositionen nichts. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Spieler auf dem Platz einfacher eigene Entscheidungen treffen, wenn sie sich sicher füllen in der Rolle, die sie ausfüllen sollen. Dann übernehmen die Spieler auch Verantwortung.
Als der FC Sie als Nachfolger für Markus Gisdol verpflichtet hat, gab es Kritik, der Trainerwechsel käme zu spät.
Den richtigen Zeitpunkt einer Trainerentlassung gibt es nicht. Ich fand es gut, dass Horst Heldt es lange versucht hat. Auch wenn das jetzt bedeutet, dass ich jetzt weniger Zeit habe, mit der Mannschaft zu arbeiten. Aber ich bin kein Trainer, der irgendwo hinkommt und die Dinge auf den Kopf stellt. Die Spieler taktisch zu überfrachten, würde nicht funktionieren. Dafür ist es zu spät in der Saison.
Was ist denn überhaupt noch möglich?
Wir ändern kleine Dinge: in den Abläufen des Tages, in den Trainingseinheiten, taktische Nuancen. Schöner wäre es gewesen, wenn jetzt nicht direkt die Englische Woche kommt. Aber es geht nicht anders. Daher versuche ich mit André Pawlak die richtigen Bereiche zu finden, in denen wir noch mehr herausholen können.
Dann wären wir zusammen fast 140 Jahre alt
Was entgegnen Sie den Kritikern, die in Ihnen einen Rentner sehen, aber keinen modernen Trainer mehr, einen Trainer, der zwar häufig aufgestiegen, aber auch häufig abgestiegen ist?
Jeder hat das Recht, seine eigene Meinung zu sagen. Natürlich kommen auch kritische Äußerungen, dafür bin ich schon viel zu lange im Geschäft. Natürlich komme ich aus der Rente. Das bedeutet aber auch, dass ich die Bundesliga in den letzten Monaten noch aufmerksamer verfolgt habe. Ich konnte kaum etwas anderes machen, um mich von der Pandemie abzulenken. So habe ich mir viele Erst- oder Zweitliga-Spiele angesehen. Ich bin auf dem Laufenden, auf dem neuesten Stand. Und in meinen Augen gibt es ohnehin keinen modernen oder veralteten Trainer. Wir trainieren nach den neuesten Methoden, ich habe einen jungen Trainerstab um mich herum. Und dass ich mit Feuer dabei bin, erlaubt mir zum Glück meine gute Gesundheit.
Eigentlich hätte Peter Hermann mit Ihnen zum FC kommen sollen. Jetzt arbeitet er als Co-Trainer beim nächsten Gegner.
Peter Hermann ist fast 70 Jahre alt. Stellen Sie sich vor, der wäre auch noch gekommen. Dann wären wir zusammen fast 140 Jahre alt. Was hätten die Kritiker dann gesagt, wie alt wir sind? (lacht) Aber im Ernst: Peter ist Leverkusener durch und durch. Dass er da sofort zusagen würde, war mir klar. Deshalb wusste ich, dass ich es nur mit André Pawlak machen würde. Ich kenne ihn, schätze ihn, er ist ein erfahrener, richtig guter Trainer. Und die wenigen Tage, die wir jetzt zusammenarbeiten, haben mich zu 100 Prozent überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war.
Sie wollten eigentlich Ihre Rente genießen. Was haben Sie für Pläne nach der Saison?
Ich möchte gerne mal für acht Wochen nach Neuseeland. Dann war ich schon mal in Namibia, würde aber auch gerne mal nach Botswana. Dort sieht man noch mehr Tiere, besonders Elefanten. Das würde mich begeistern.
Und wenn der FC Sie fragen würde, beim weiteren Umbau des Klubs in anderer Funktion mitzuhelfen?
Es ist noch zu früh, darüber nachzudenken. Grundsätzlich in einer anderen Funktion, nicht mehr operativ auf dem Platz und tagtäglich, sondern beratend tätig zu sein, schließe ich nicht aus.
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