Der 1. FC Köln in der Europa League. (Foto: Neil Baynes)

Ein Jahr nach dem 20. Mai – ein junger Fan blickt zurück

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Heute ist der 20. Mai 2018. Exakt 365 Tage ist es her, dass der 1. FC Köln seinen größten Erfolg in der jüngeren Vereinsgeschichte feierte: Der Einzug in die Europa League nach einem Vierteljahrhundert war das Sahnehäubchen auf eine Erfolgsära mit Peter Stöger und Jörg Schmadtke. Doch was ist davon ein Jahr später noch geblieben?

Ein persönlicher Rückblick von Sonja Eich

Ja, der Effzeh hat in der Saison 2017/18 wirklich in der Europa League gespielt, hat mit seinen Fans ganz London beeindruckt und in Müngersdorf sogar die Elf von Arsene Wenger geschlagen. Doch all das kommt mir nicht so vor, als wäre es erst vor kurzem passiert. Ist das wirklich in dieser Saison geschehen? Gefühlt liegt die Europa League schon sehr lange zurück. In einer anderen Zeit. In einer besseren Zeit.

Wie kann man eine Saison nur so versemmeln?

Was bleibt uns jetzt, ein Jahr später? Der sechste Abstieg der Vereinsgeschichte und die bittere Gewissheit, dass dieser hätte verhindert werden können, ja, verhindert werden müssen. Ich muss zugeben, emotional ist dieser Abstieg in diesem Jahr gar nicht so schlimm. Warum? Ich kann es nicht erklären. Vielleicht habe ich mich daran gewöhnt. Der 1. FC Köln ist eben doch eine Fahrstuhlmannschaft. Oder nicht? Immerhin ist kein Team häufiger abgestiegen in den letzten 20 Jahren. Natürlich wurde die Hoffnung mit den Erfolgen der letzten Jahre immer größer, dieses Image endlich abgelegt zu haben. Nun, jetzt wissen wir es besser. Das tut weh, aber es gibt Schlimmeres. Schließlich kenne ich es als „jüngerer“ FC-Fan nicht anders.

Was allerdings richtig schmerzt, ist die Tatsache, dass der Effzeh die besten Voraussetzungen hatte, endlich wieder ein etabliertes Mitglied der Bundesliga ohne größere Abstiegssorgen zu werden. Heißt: Die Tatsache, dass mein Verein abgestiegen ist, kann ich verkraften. Den Weg, wie es dazu gekommen ist, hingegen nicht. Wie kann man eine Saison nur so versemmeln? Mir geht es längst nicht mehr darum, wer welche Fehler gemacht hat und wie groß der Anteil am schlussendlichen Abstieg war. Das wurde schon breitgetreten und ausreichend diskutiert. Irgendwie hat jeder seinen Teil dazu beigetragen.

Erinnert sich noch jemand an Artjoms Rudnevs?

Natürlich hätte man sich früher von Peter Stöger trennen können oder sogar müssen. Aus kölscher Sicht war es jedoch legitim, dem Österreicher die Chance zu geben, es selbst wieder mit der Mannschaft auszubügeln. Wir Kölner sind ein dankbares Volk und vergessen die gefeierten Erfolge nicht so schnell. Nun gut, der Verein ist also mit offenen Augen gegen die Wand gefahren. Und trotz drei Punkten aus 14 Spielen wäre der Klassenerhalt noch möglich gewesen. So viel wissen wir nach 34 Spieltagen auch.

Aber es hat halt nicht sollen sein. Viel zu viel ist auch abseits des sportlichen Handelns schief gelaufen. Allerdings waren da auch die Schicksalsschläge. Das Karriereende von Artjoms Rudnevs ist bei vielen schon nicht mehr präsent. Es sei zwar dahingestellt, ob uns der Lette zum Klassenerhalt geschossen hätte. Aber mit 29 Jahren aufgrund privater Probleme seine Karriere beenden zu müssen, erscheint mehr als tragisch. Hans Schäfer ging von uns, ein Abschied, der auch über die Stadtgrenzen Kölns hinaus betroffen gemacht hat. Dazu der dramatische Tod von Uwe Fecht in der U21. Schließlich verstarb am Freitag Hildegard Schäfer, die Geißbock-Mama. Auch ihre Namen gehören zur Saison 2017/18 dazu.

[nextpage title=”Schlaflose Nächte nach London – was ist das für ein Verein?”]

Ich stand in London auch auf der Brücke

Etwas anderes liegt mir nach dieser Saison noch immer auf dem Herzen. Die „Nacht der Schande” von London, bei der mir die Berichterstattung einiger Kollegen teilweise schlaflose Nächste beschert hat. Ich möchte nichts von dem, was passiert ist, schönreden. Und der Satz „Wir gehen jetzt alle mal rein und gucken, was passiert“, der vor den Stadiontoren durch ein Megafon hallte, hängt mir immer noch nach. Denn ich weiß, was passiert ist, schließlich stand ich mitten drin in der Menge. Zweieinhalb Stunden wurden wir auf der Zugangsbrücke zum Stadion festgehalten, eingekesselt von Polizeipferden. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, ja, sogar teilweise schon keine Lust mehr auf das Spiel, auf das ich so lange hatte warten müssen. Denn wer hätte sagen können, was passiert wäre, wenn auch nur eine Person in dieser Menschenmasse die Nerven verloren hätte? (Dabei hätte ich nicht einmal ausschließen können, dass ich am Ende diese Person gewesen sein könnte).

Doch es passierte nichts. Es war (fast) alles friedlich. Die Menschen waren ruhig, haben ab und an ein paar Lieder angestimmt und gewartet. Was danach in den 90 Minuten und darüber hinaus im Emirates Stadium passiert ist, treibt mir noch heute die Tränen in die Augen. Selten Noch nie habe ich ein stärkeres Gefühl der Zusammengehörigkeit so vieler Menschen auf einem Fleck erlebt. Der Stolz, ein Teil davon gewesen zu sein, war und ist riesengroß. Von daher ist „Nacht der Schande“ das Irrwitzigste, was ich seit langer Zeit über etwas, das mit dem Effzeh im Zusammenhang steht, gelesen habe. Kritische Berichterstattung ja, aber alle 20.000 Fans über einen Kamm scheren? Das geht zu weit. Ob das jetzt wirklich zu dem zählt, was in der abgelaufenen Saison schiefgelaufen ist? Irgendwie schon. Aber andererseits wird der Tag zu den Besseren in meiner Erinnerung der abgelaufenen Spielzeit zählen. (Lest dazu unseren Kommentar: “In welcher Fußball-Welt leben wir eigentlich?”)

Haben sich Fans weichspülen lassen?

Aber eben auch das ist Vergangenheit – und für mich gefühlt bereits eine halbe Ewigkeit entfernt. Was noch nicht so weit entfernt ist, ist der feststehende Abstieg. Die Verabschiedung von Dominic Maroh, ein ganzes Stadion, das „En unsrem Veedel“ singt. Aber ich muss sagen, die ganze #durchetfüer-Kampagne und die „Alles-ist-so-toll-obwohl-wir-als-schlechteste-Mannschaft-der-FC-Geschichte-abgestiegen-sind“-Stimmung, kann doch nicht allen Ernstes darüber hinwegtäuschen, wie katastrophal dieser Abstieg ist, oder? Es ist für mich nur schwer vorstellbar, dass sich Fans davon haben weichspülen lassen und dabei vergessen haben, wie absurd schlecht gespielt wurde. Blicke ich auf die nackten Zahlen, vergeht mir ganz schön schnell die Stimmung. Will heißen: Der Zusammenhalt und das „Mer sin eins“-Gefühl zwischen Fans und Mannschaft machen den Abstieg keinen Funken besser, nur etwas erträglicher.

Der Optimismus, den Schaden in der kommenden Saison direkt wieder ausbügeln zu können, ist trotz der katastrophalen Saison relativ hoch. Denn der Verbleib von Jonas Hector und Timo Horn ist, auch nüchtern betrachtet, eine Sensation. Plötzlich wird man von anderen Vereinen beneidet, obwohl man gerade abgestiegen ist. An dem Tag, als Hectors Vertragsverlängerung bekanntgegeben wurde, explodierte Twitter. Ein englischer Nutzer fragte sinngemäß: „Was ist der 1. FC Köln für ein Verein, dass ein deutscher Nationalspieler mit in die Zweite Liga geht?“. Ja, was ist das für ein Verein? Der bekannte Werbeslogan ist mittlerweile ziemlich abgenutzt und man kann ihn eigentlich kaum mehr ertragen, aber in dieser Hinsicht stimmt er schon: Dieser Klub ist wirklich anders. Während anderen Vereinen die Spieler trotz Champions League und genügend Geld davonlaufen, wissen viele Effzeh-Spieler, was sie an Köln haben.

Ich bin Anhänger eines jeden FC-Fans

Fest steht: Auch, wenn unfassbar viel falsch gemacht und einiges von dem, was man sich jahrelang aufgebaut hatte, in nur einer Saison zunichte gemacht wurde, bin ich immer noch stolz, Anhänger dieses Klubs zu sein. Nur 38 Dauerkarten wurden bislang zurückgegeben, 11.500 Menschen stehen auf der Warteliste. Jeder will den Effzeh auch in der Zweiten Liga sehen. Das macht mich nicht nur zu einem Anhänger des Vereins, sondern auch zu einem Fan jedes einzelnen, der es mit dem Effzeh hält. Denn nur gemeinsam kann man das Gefühl erzeugen, dass uns in London oder nach dem feststehenden Abstieg Gänsehaut beschert hat. Natürlich hoffen wir alle auf den direkten Wiederaufstieg, und mit Sicherheit erwarten wir das auch alle. Irgendwie freue ich mich sogar auf die kommende Saison, in der mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder deutlich mehr Siege gefeiert werden als zuletzt. Sicher sein können wir uns in Sachen Aufstieg zwar nicht. Aber ich weiß, dass die Fans des Effzeh bedingungslos alles dafür tun werden, die Spieler auf dem Weg dorthin bestmöglich zu unterstützen. Ganz getreu dem Motto: “Die Bühle un Schramme, die fleck m’r zesamme, dann es et vorbei.”


Sonja Eich hat bereits zweimal in dieser Form ihre persönliche Geschichte erzählt.

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